Dienstag, 7. Juli 2009

Von Albi nach Würzburg

vier - sieben

Hotels mögen hoch in den Sternen schweben, haben aber die Erdung verloren ...
Das "Mercure" in Albi ist so ein fehlbeseeltes Haus. Scheinbar großzügig, stören doch die gschlamberten Details: Da kann man die Vorhänge nicht öffnen, dort knattert ein Wasserhahn erst nach deutlichen Ermahnungen, die Glühbirne der Bettbeleuchtung ist kaputt, die Fernsehprogramme erneuerungsbedürftig. Ein gutes Hotel kann man u. a. daran erkennen, ob es und welche Leistungen kostenfrei bereithält und wie die kleinen Dinge gehandelt werden. Ein großzügiges Konzept kriegen alle hin, es aber konsequent umzusetzen, das ist Fieselarbeit, für die vom Direktor bis zum Küchenjungen Überzeugungsarbeit erforderlich ist.
Ich bin dort ohne Frühstück und in Kriegsstimmung ausgezogen: Die Welt kann noch besser werden.
Das wunderbare Licht der Morgensonne und die Einfahrt in die dramatische Auvergne haben mich besänftigt.
An Rodez - der Bischofsstadt, zu der Conques gehört - vorbei entscheide ich mich, über Clermont-Ferrand (Stammsitz von Michelin) nach Moulins zu fahren, von dort ins Saone-Rhône-Tal zu queren, um über Mulhouse, Freiburg und Karlsruhe schließlich Würzburg zu erreichen. Das sind zwar über 1100 Kilometer, aber gegen das Ende, wo ich sehr müde sein werde, wäre ich dann schon fast daheim. Das könnte hilfreich sein und Reserven wecken. Die Strecke über Paris wäre um hunderte von Kilometern kürzer gewesen. Habe ich später nachgemessen. Zu spät.
Tatsächlich komme ich gut voran, die Maschine ist brav, irritiert mich aber doch durch erneutes Geklapper. Vielleicht höre ich aber nur die Flöhe husten. In der Raststätte Beaune kaufe ich einen Liter Motorradöl. Der versenkt sich ganz schnell im Innern der Maschine. Und ich verkündige hiermit, dass jetzt gegen das Ende der Fahrt, das Fahren mit der CBX erstmals richtig Spass macht. Motorradmäßig haben diese letzten 700 KM am meisten Spaß gemacht.
Hier in Beaune treffe ich auch zwei junge Leute, die per Autostop durch Frankreich stromern. Der eine, Schüler, der andere vielleicht Student, beide repräsentieren eine der Hauptrichtungen, die ich auch beim Camino oft angetroffen habe: Suche nach Orientierungen, sehr nebulös zunächst, aber da steckt so eine Art Hoffnung drin. Alles und natürlich auch mit hohem Unterhaltungswert. Das Unerwartete meistern, mit brenzligen Situationen fertig werden ...
Die beiden helfen mir, das Moped auf den Hauptständer zu ziehen, sodass ich das Öl einfüllen kann. Und es wieder runterzudrücken, damit ich weiterfahren kann. Sie bieten mir Obst an, was aber dann irgendwie untergeht im Abschiedsgefecht. Sie wollen noch weiter. Wohin? Das entscheiden die Autofahrer, die sie mitnehmen. Nur eine allgemeine Richtung wird vorgezogen, Osten, aber ich nehme an, wenn ein attraktives Ziel winkt, dann fahren sie mit. Ist das ein Vertrauen in einen Sinn im scheinbar Zufälligen? Wir kommen auf das Weltkulturerbe, von dem unser Europa so reich möbliert ist. Zum ersten Mal habe ich den Eindruck, dass die Objekte der Liste einen Zeitumschlag darstellen, eine Art Bahnhof für das Handeln in und das Denken über Zeiten. Meine Gesprächspartner zeigen sich interessiert, aber für alle wird es Zeit ans Weiterkommen zu denken. Beide sind irgendwann Kandidaten für ein Ziel wie Santiago. Meldet Euch!
Es wird Abend. Am Himmel lässt sich ablesen, dass von Nord-Ost eine Gewitterfront naht. Dorthin will ich aber und deshalb ziehe ich unter einer Brücke wieder mal die Regenkombi (das Ganzkörperkondom) über mich. Jetzt und in alle Zukunft in der Erwartung, dass beim Auftauchen aus dem Sichtloch die Polizei vor mir steht. Dies Ereignis bleibt jedoch aus.
Dann fahre ich mit finsterer Entschlossenheit zwei Stunden lang hinter den Regen, schließlich ists geschafft. Die nächste ganz neue, etwas hippige Raststätte, mit Wassermann-Musik auf den Toiletten und auch sonst "öko", etwa bei Besancon sieht mich getrocknet und noch aufgeräumt. Vor allem warm.
Dennoch geht der Kampf gegen die Müdigkeit jetzt los. Die Pausen werden länger, die Fahrstrecken kürzer. Schon fast daheim mache ich oberhalb Heidingsfeld nochmal Pause. Weil ich an der letzten Ampel fast vergessen habe, die Füsse runterzustellen. Hinter mir steht ein Lastwagen. Schrecken empfinde ich nicht, dazu habe ich keine Energie mehr.
Punkt sechs stelle ich das Moped in der Garage, die Edith zuvor geräumt hat, ab. Dem Datum folgend bin ich nach genau fünf Wochen wieder zuhause. Die Seele ist noch unterwegs.

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