fünfundzwanzig – sechs
Kurz nach elf habe ich gemerkt, dass ich mich jetzt beeilen muss, um das Zimmer frei zu geben. Um zwölf bin ich an der Rezeption ... Es gelingt, in Sarria ein Zimmer zu bestellen mit der Auflage, dass ich das Motorrad für eine Woche unterstellen kann.
Das Moped wird mittlerweile routiniert beladen. Der nächste Camino-Ort, den ich gerne sehen will, ist Sahagun, früher das übermächtige Klosterzentrum der Region, dem letztlich auch San Zoilo zum Opfer gefallen ist. Im Gegensatz zu diesem aber ist San Zoilo erhalten geblieben, mit vielen wertvollen Details. Z. B. die gewaltige Ikonostase in der Kirche oder der Kreuzgang von majestätischer Höhe. In der Kirche singe ich mich Obertonübungen ein, nur so, um dem Raum zu zeigen dass ich da bin. Aber auch dem Floristen, der ein Gitter für eine Hochzeit schmückt, gefällt mein Gesumse. Er will wissen, ob man mich für das Fest engagiert hat. Kein schlechter Gedanke und weil etwas französisch spricht, frage ich ihn, ob man im Ort spürt, dass der Camino hier durchzieht. Und spontan sagt er, dass die Brautleute sich auf dem Camino kennengelernt haben. Und weil die Braut einer bekannten Adelsfamilie entstammt, kommt auch der Erzbischof von Burgos angereist. Er steckt mit flinken Händen Efeu und große Blüten in das schmiedeeiserne Gitter, was supergut aussieht. Und anders als früher, kaufen die Leute auch was. Da hat keiner sein Picknick dabei, das ist eine Frage des Gewichts im Rucksack. Die meisten sind sehr ehrgeizig, sie machen unglückliche Gesichter wie beim Joggen. Wenn nicht die Cafés und Hotels durch sie eine gute Kundschaft hätten, wenn’s nach ihm ginge, bräuchten sie hier nicht durchziehen. Das sind doch alles verkappte Gottlose, mit dem Santiago hat das nichts zu tun. Er gerät in Rage, weil er zu wenig Efeu gekauft hat und jetzt umverteilen muss. Ich glaube, er würde jetzt geerne einen Pilger dafür verantwortlich machen. Dann greift er zum Handy und knattert mit einem RRRRausch eine gottverdammte Bestellung in den Äther. Das klappt, er lädt mich, bis die Sachen kommen auf einen Rosé/Rosso (im Gegensatz zum Tinto) an die Bar ein. Leider passiert nicht mehr viel, er hat sich wohl völlig verausgabt.
Ich gehe wieder ans Schreiben ...
Sahagun, ja! Auf dem Stadtplatz, an dessen Rand ich das Moped abstelle, spielen Kinder Fußball. Manchmal werden vorübergehende getroffen, die dann ganz unterschiedlich reagieren. Ein rabiater Durchgänger verbietet das Spiel und weil ich am Motorrad angelehnt einen cafè con lecche trinke, habe ich mehrfach Gelegenheit, den Ball zurückzuspielen. Jetzt wollen sie wissen, ob die Deutschen auch so widerlich sind wie die Leute hier. Ich verstehe zwar, was sie meinen, bin aber für einen so interessanten Dialog nicht mutig genug. Und dann sagt so ein hinterlistiges Würstchen, vielleicht elf, Du kannst ruhig deutsch reden, ich übersetze das. Er lebt in Offenbach und ist für einige Tage in der Heimat der Eltern. Er meint großzügig, dass die Deutschen noch viel schlimmer sind. Die Deutschen hassen Kinder, behauptet er kühl. Mit Kindern kriegt man keine guten Wohnungen und Frauen, die Kinder haben wollen, kriegen keine Arbeit.
Das Café, in das ich meine leere Tasse zurückbringe, ist eine Rarität: alle Wände voller Fotos von Generationen von Kundschaft. Alles geschichtsdunkel und geschichtendurchwirkt. Ic kaufe noch eine Flasche Orangennektar und fahre weiter, Leon fällt, Astorga fällt. Wird auf die Rückreise verlegt. Astorga faellt mir schwer, weil im von Gaudi erdachten Bischospalast eine Camino-Ausstellung aufgebaut ist. Der Aufstieg zum Col von Piedrafita (über 1300 Meter) ist eine Tortur. Es regnet und ist eisig kalt. Unter einer Brücke ziehe ich mir das Ganzkörper-Kondom an. Unbemerkt steht ein Polizist von der Guardia Civil vor mir und will wissen, ob ich in Havarie sei. Er begreift aber schnell und bleibt mit dem Kollegen so lange sichernd mit dem Auto stehen, bis ich wieder auf der Strasse bin. Das ist deshalb bemerkenswert, weil er nicht mit einem Wort erwähnt hat, dass das Anhalten auf dem Streifen komplett verboten ist.
Die Eiseskälte verbessert irgendwie meine Fertigkeiten auf dem Moped, als ich beim Hotel ankomme, was wegen des Stadtfestes gar nicht einfach ist, bin ich fast bewegungsunfähig.
Ich richte mich ein, besichtige den Standplatz für das Moped, finde eine Internet- Station, fange an zu schreiben, mache eine Pause und erwerbe eine Flasche Rioja 2001, für 2,50!
Für ein Zehntel des Wertes. Leider hat der Obsthändler nur eine davon.
Jetzt ist das Zimmerchen ein reines Chaos, denn ich muss alles für den Fußmarsch neu ordnen
Und will morgen früh bald von der Stelle kommen.
Euch allen mein Wunsch, bald wieder unter Euch zu sein. Ihr fehlt mir sehr!
Ich melde mich erst wieder in einer Woche, genießt die Lesepause ...
Donnerstag, 25. Juni 2009
Logrono – Burgos – Carrion de los Condes
vierundzwanzig – sechs
Das Frühstück im Condes de Haro kann sich schmecken lassen. Gekochter Schinken, Pyrenäenkäse, verschiedene Konfitüren ... Und bis um zwölf kann ich bleiben. Wenn alles gut geht, kann ich morgen (DO) in Sarria sein. Dienstag oder Mittwoch könnte ich in Santiago ankommen. Die Planungen konkretisieren sich fortlaufend. Bei den Telefonaten mit Edith spielt dieser Teil eine wichtige Rolle.
Sehr viel denke ich in diesen Tagen (und danke auch) an den großzügigen Förderer dieser Unternehmung. Lieber Andreas, ich könnte mir denken, dass Du zwar hie und da den Kopf schütteln würdest, aber es würde Dir ziemlich Spaß machen dabei zu sein. Einzelheiten später.
Obwohl ich schon vor sieben auf den Beinen bin, dauert es ewig, bis alles fertig ist. Wirklich fertig. Im Zimmer bin ich um zehn raus und die Texte sind am Gästerechner schnell eingegeben. Aber die Bilder dauern. Ich nehme an, dass es die großen Bilder sind, die ihren Weg durch viele Flaschenhälse zu den fernen (?) Speicher finden müssen. In der Straße vor dem Hotel hat sich ein Wutbündel entwickelt, weil jemand sein Auto mit laufendem Motor in zweiter Reihe abgestellt hat. Unsere Hotelmanagerin kommt heraus und erklärt mir, dass man lange die Pilger für alles Negative verantwortlich gemacht hat: Kleine Diebstähle, Mundraub, die Leute nehmen einfach so einen Apfel mit, Hotelrechnungen werden nicht bezahlt etc. Das alles war einmal. Die Pilger haben eine völlig unauffällige Zahlungsmoral und haben meist viel, jedenfalls ausreichend bare Mittel dabei. In den vergangenen zwei Jahren sei die Aggressivität der Bevölkerung auffallend angewachsen. Viel Streit in den Straßen und Cafés und in den Familien.
In alten Zeiten waren eher die Städte die sicheren Zufluchtsorte, Inseln der Ordnung im feudalen Chaos untergehender Strukturen. Heute sind sie oft Anlässe für ärgerliche Zwischenfälle, nicht zuletzt, weil das gesamte Gesundheitssystem in der UE wackelt und die Zufriedenheit der Menschen mit den Machtstrukturen sinkt.
Zwischen den Ladezeiten hole ich das Moped aus den Tiefen der Keller und lerne dabei dunkle Steilpassagen zu beklettern, ohne oben an die gegenüberliegende Mauer zu donnern.
In der Mittagszeit kann ich die Stadt verlassen, die außerhalb immer unansehnlicher wird.
Die Luft verbessert sich erheblich, nicht zuletzt, weil der Verkehr zu dieser Zeit geringer ist als zu anderen Tageszeiten. Ich nehme die N120, um als nächstes Najera und Santo Domingo de la Calzada zu durchfahren. In Najera ist großes Schulfest am Fluss und überall findet irgendwas statt. In dem Trubel zwei Pilgerfrauen mit Fahrrädern und Hochleistungsausrüstung. Am Kopf Elektronik, eine hat ein Navi am Rad. Es sind Luxemburgerinnen, die französisch sprechen. Sie sind seit einem Monat unterwegs und wenn sie am Wochenende in Santiago ankommen, geben sie die Räder bei der Bahn auf und fliegen nach Hause. Es wird nur gefilmt, keine Fotos. Der Rückweg als Verarbeitungsstrecke fällt auch hier weg. Die technische Lauf-Bildbearbeitung steht für die zeitliche des Weges. Sie wollen die Räder nicht alleine lassen, deshalb bleiben sie im Getümmel stehen. Eine von ihnen geht kurz weg, drei Eisbecher zu organisieren. Ich habe mein Moped auf einer kleinen Parkinsel stehen, fast in Sichtweite. Wir schlecken Eis und schauen den Balgereien im flachen Flusswasser zu. Es ist alles sehr bunt und nass. Alle Spiele sind bekannt und gut organisiert, es gibt Favoriten, bei deren Auftauchen wie am Spiess geschrieen wird, wir verstehen die Ablaeufe dennoch nicht gut. Die beiden Frauen, so um die 30, wollen noch nach Burgos ins vorbestellte Zimmer. Wir verabschieden uns.
Santo Domingo hat zwei Paradores, staatliche Hotels in historischen Gebäuden. Und eine märchenhafte Altstadt, die jetzt in der Mittagsglut nur hie und da Leben vermuten lässt. Kindergeplärre, Radio da und dort, eine Glocke und auf den fünf dicken Türmen an der Stadtmauer klappern Dutzende von Störchen. Die Sonne kommt fett von oben, keine Chance für gute Bilder. Selbst der romanische Chor der Kathedrale verweigert sich meiner Kamera.
Das ist in Burgos anders. Es ist zwar nicht leicht, zur Kathedrale durchzustoßen, aber schließlich folge ich einer Rennsemmel, die sich mit Schwung fast vor das Portal setzt. Es ist eine Krankenschwester im Dienst. Vorsichtshalber stelle ic das Moped doch weiter oben ab, wo zwei Männer, eher so etwas wie Wohnsitzlose mit einem Wuschelhund eine kleine Weltinsel aufgebaut haben. Ich nehme es vorweg. Meine offen eingeklemmte Freizeithose hat den Besitzer gewechselt. Ich nehme mal an, das dies der Preis fürs Aufpassen war ...
An dem unglaublich reichen Bauwerk stört nur der Eintritt von sage und schreibe 6 €. Ich verweigere mich dieser Zumutung und investiere in zwei frische Biere und Tapas: Halbe Eier mit Krabben und Käsecreme. 6,20 sind damit am Welterbe vorübergezogen.
Ich beschließe bis Carrion de los Condes weiterzufahren, um am Donnerstag Sarria zu erreichen.
Ich finde in Carrion das bislang schönste Hotel, das uralte königliche Kloster San Zoilo, fast so schön wie ein Parador, aber viel günstiger. An der Theke der Bar gelingt es mir, den Barmann, der nur für mich da ist, als Spanischlehrer zu aktivieren. Vor allem lehrt er mich, den bestellten Käse mit den Fingern zu essen. Für mich als Messer-und-Gabel-Fetischisten eine schwere Prüfung. Für meinen Versuch, dafür Bakterien oder anderes Viehzeug zu bemühen, hat er nur lautes Lachen übrig, auch an der Rezeption wird gelacht. Die verrückten Alemanes ... was denen nicht alles einfällt, um sich das Leben als Pilger zusätzlich schwer zu machen! Ich behaupte, ein besonders unzuverlässiges Exemplar für meine Nation zu sein, meinen Landsleuten seien Essbestecke noch weitgehend unbekannt. Das vermittelt zu haben, in spanischer Sprache, hat mich zufrieden ins Bett gehen lassen.
Das Frühstück im Condes de Haro kann sich schmecken lassen. Gekochter Schinken, Pyrenäenkäse, verschiedene Konfitüren ... Und bis um zwölf kann ich bleiben. Wenn alles gut geht, kann ich morgen (DO) in Sarria sein. Dienstag oder Mittwoch könnte ich in Santiago ankommen. Die Planungen konkretisieren sich fortlaufend. Bei den Telefonaten mit Edith spielt dieser Teil eine wichtige Rolle.
Sehr viel denke ich in diesen Tagen (und danke auch) an den großzügigen Förderer dieser Unternehmung. Lieber Andreas, ich könnte mir denken, dass Du zwar hie und da den Kopf schütteln würdest, aber es würde Dir ziemlich Spaß machen dabei zu sein. Einzelheiten später.
Obwohl ich schon vor sieben auf den Beinen bin, dauert es ewig, bis alles fertig ist. Wirklich fertig. Im Zimmer bin ich um zehn raus und die Texte sind am Gästerechner schnell eingegeben. Aber die Bilder dauern. Ich nehme an, dass es die großen Bilder sind, die ihren Weg durch viele Flaschenhälse zu den fernen (?) Speicher finden müssen. In der Straße vor dem Hotel hat sich ein Wutbündel entwickelt, weil jemand sein Auto mit laufendem Motor in zweiter Reihe abgestellt hat. Unsere Hotelmanagerin kommt heraus und erklärt mir, dass man lange die Pilger für alles Negative verantwortlich gemacht hat: Kleine Diebstähle, Mundraub, die Leute nehmen einfach so einen Apfel mit, Hotelrechnungen werden nicht bezahlt etc. Das alles war einmal. Die Pilger haben eine völlig unauffällige Zahlungsmoral und haben meist viel, jedenfalls ausreichend bare Mittel dabei. In den vergangenen zwei Jahren sei die Aggressivität der Bevölkerung auffallend angewachsen. Viel Streit in den Straßen und Cafés und in den Familien.
In alten Zeiten waren eher die Städte die sicheren Zufluchtsorte, Inseln der Ordnung im feudalen Chaos untergehender Strukturen. Heute sind sie oft Anlässe für ärgerliche Zwischenfälle, nicht zuletzt, weil das gesamte Gesundheitssystem in der UE wackelt und die Zufriedenheit der Menschen mit den Machtstrukturen sinkt.
Zwischen den Ladezeiten hole ich das Moped aus den Tiefen der Keller und lerne dabei dunkle Steilpassagen zu beklettern, ohne oben an die gegenüberliegende Mauer zu donnern.
In der Mittagszeit kann ich die Stadt verlassen, die außerhalb immer unansehnlicher wird.
Die Luft verbessert sich erheblich, nicht zuletzt, weil der Verkehr zu dieser Zeit geringer ist als zu anderen Tageszeiten. Ich nehme die N120, um als nächstes Najera und Santo Domingo de la Calzada zu durchfahren. In Najera ist großes Schulfest am Fluss und überall findet irgendwas statt. In dem Trubel zwei Pilgerfrauen mit Fahrrädern und Hochleistungsausrüstung. Am Kopf Elektronik, eine hat ein Navi am Rad. Es sind Luxemburgerinnen, die französisch sprechen. Sie sind seit einem Monat unterwegs und wenn sie am Wochenende in Santiago ankommen, geben sie die Räder bei der Bahn auf und fliegen nach Hause. Es wird nur gefilmt, keine Fotos. Der Rückweg als Verarbeitungsstrecke fällt auch hier weg. Die technische Lauf-Bildbearbeitung steht für die zeitliche des Weges. Sie wollen die Räder nicht alleine lassen, deshalb bleiben sie im Getümmel stehen. Eine von ihnen geht kurz weg, drei Eisbecher zu organisieren. Ich habe mein Moped auf einer kleinen Parkinsel stehen, fast in Sichtweite. Wir schlecken Eis und schauen den Balgereien im flachen Flusswasser zu. Es ist alles sehr bunt und nass. Alle Spiele sind bekannt und gut organisiert, es gibt Favoriten, bei deren Auftauchen wie am Spiess geschrieen wird, wir verstehen die Ablaeufe dennoch nicht gut. Die beiden Frauen, so um die 30, wollen noch nach Burgos ins vorbestellte Zimmer. Wir verabschieden uns.
Santo Domingo hat zwei Paradores, staatliche Hotels in historischen Gebäuden. Und eine märchenhafte Altstadt, die jetzt in der Mittagsglut nur hie und da Leben vermuten lässt. Kindergeplärre, Radio da und dort, eine Glocke und auf den fünf dicken Türmen an der Stadtmauer klappern Dutzende von Störchen. Die Sonne kommt fett von oben, keine Chance für gute Bilder. Selbst der romanische Chor der Kathedrale verweigert sich meiner Kamera.
Das ist in Burgos anders. Es ist zwar nicht leicht, zur Kathedrale durchzustoßen, aber schließlich folge ich einer Rennsemmel, die sich mit Schwung fast vor das Portal setzt. Es ist eine Krankenschwester im Dienst. Vorsichtshalber stelle ic das Moped doch weiter oben ab, wo zwei Männer, eher so etwas wie Wohnsitzlose mit einem Wuschelhund eine kleine Weltinsel aufgebaut haben. Ich nehme es vorweg. Meine offen eingeklemmte Freizeithose hat den Besitzer gewechselt. Ich nehme mal an, das dies der Preis fürs Aufpassen war ...
An dem unglaublich reichen Bauwerk stört nur der Eintritt von sage und schreibe 6 €. Ich verweigere mich dieser Zumutung und investiere in zwei frische Biere und Tapas: Halbe Eier mit Krabben und Käsecreme. 6,20 sind damit am Welterbe vorübergezogen.
Ich beschließe bis Carrion de los Condes weiterzufahren, um am Donnerstag Sarria zu erreichen.
Ich finde in Carrion das bislang schönste Hotel, das uralte königliche Kloster San Zoilo, fast so schön wie ein Parador, aber viel günstiger. An der Theke der Bar gelingt es mir, den Barmann, der nur für mich da ist, als Spanischlehrer zu aktivieren. Vor allem lehrt er mich, den bestellten Käse mit den Fingern zu essen. Für mich als Messer-und-Gabel-Fetischisten eine schwere Prüfung. Für meinen Versuch, dafür Bakterien oder anderes Viehzeug zu bemühen, hat er nur lautes Lachen übrig, auch an der Rezeption wird gelacht. Die verrückten Alemanes ... was denen nicht alles einfällt, um sich das Leben als Pilger zusätzlich schwer zu machen! Ich behaupte, ein besonders unzuverlässiges Exemplar für meine Nation zu sein, meinen Landsleuten seien Essbestecke noch weitgehend unbekannt. Das vermittelt zu haben, in spanischer Sprache, hat mich zufrieden ins Bett gehen lassen.
Mittwoch, 24. Juni 2009
St. Jean-Pied-de-Port – Pamplona – Logrono
dreiundzwanzig – sechs
Senora Maria Camino geruhen, mich zu tadeln wegen Nichteinhaltung der zeitlichen Vereinbarungen das Frühstück betreffend. Ich entgegne mit großer Würde, dass Sie angesichts Ihres Verhaltens keinerlei recht auf Kritik habe. Wer wie sie den Gast, der in der Hoffnung auf eine günstige Unterkunft komme, um sein Geld bringe, habe alle Rechte auf Achtung verloren. Ich biete ihr 40 Euro, wenn nicht möge sie die Polizei holen. Sie schimpft in spanischer Sprache und macht dann den Vorschlag, mir noch ein Fresspaket mit Produkten eigener Hand mitzugeben. Ich akzeptiere. Der Kaffee ist schrecklich und unter Mikrowelle aufgewärmt. Wegen der nervlichen Anstrengung wird mir doch warm und gepackt is’ auch noch nich! Die Leute vom Pilgerbüro kommen und reden mit ihr. Gestern hat man noch darüber diskutiert, ob man ihr die Muschel aberkennt, die am Schild die Pilgerherberge ausweist ... Immerhin muss sie jetzt wissen, dass sie etwas riskiert, wenn sie die Anrufer nicht auf den neuen Preis hinweist.
Ich komme gut weg und bin bald oben am Col von Ibaneta, von wo aus man einen schier unglaublichen Blick in die Tiefe hat. Aus diesem unglaublichen Schlund kommen die Pilger herauf. Ich unterhalte mich mit einem BMW-Fahrer aus Magdeburg, so um die 50.
Zum ersten Mal ist seine Frau mit auf eine Motorradreise gegangen. Sie will den Weg gehen, er will ihn fahren. Also wartet er mit dem Gepaeck seiner Frau oben am Pass, bis sie ankommt.
Wenige Minuten später tauchen die Dächer des Kloster von Roncesvalles auf. Ich schaue mir den Kreuzgang und die Hauptkirche an, in der es einen Jakobsaltar gibt. Das königlich-navarresische Kloster war seit Beginn der Wallfahrt eine wichtige Haltestation. Ich bekomme sogar einen Stempel mit einem Eintrag "con moto hasta sarria"!
Abfahrt nach Pamplona. Tanken. Eine lieb dreinschauende Tankfrau ist mir behülflich. Ich gebe Ihr einen der letzten fünfziger aus dem Sigmaringer Fund! Casco antiguo bedeutet Altstadt. Das gibt es auch in Pamplona. Ich stelle das Moped an einem Platz ab, erwerbe mir eine Flasche gekühlten Kakao und marschiere durch die Gassen, durch welche an den Festtagen die Stiere getrieben werden. Es fällt auf, wie unglaublich sauber die Strassen sind. Viele Häuser sind farbenfroh restauriert und mit Blumen behängt. Die ganze Stadt scheint sehr lebendig zu sein, denn viele Autofahrer rufen mir unfreundliche Sachen zu idiota und so, weil ich halt keine Knautschzone habe und so meine eigenen Vorstellungen von Verkehr ...
Auf die Autobahn entweiche ich gen Logrono. Dazwischen liegen so wichtige Stationen wie Nostra Senora de Eunate, Puente la Reina und Estella. Ich stelle jeweils ein Bild ein. In Estella geht soeben ein Sensationsprozess mit einer Mörderin zu Ende. Sie kommt frei, was ich am Abend im Fernsehen mitbekomme, obwohl sie das Verbrechen zugegeben hat.
Mit etwas Verzögerung finde ich in Logrono ein Hotel, checke ein und bringe mich aus der Erschöpfung wieder ans Licht.
Um elf sitze ich am Marktplatz, trinke zwei Biere. Ein dicker Glatzkopf setzt sich zu mir und redet auf mich ein. Der Kellner kommt und steht mir bei. In ordentlichem Deutsch erklärt mir der Kellner, das dem Mann unangenehm war, von mir beobachtet zu werden. Dabei ist das abendliche Leben auf diesem schönen Kirchplatz wirklich fast wie ein Film: Eine behinderte junge Frau rollt in ihrem Elektrowagen telefonierend über den Platz, ein kleiner Hund trippelt mit drei Beinen, das vierte unregelmäßig zur Seite schleudernd, von einer Pinkelstelle zur nächsten. Eine Familie mit zwei rollernden Buben geht in die eine Richtung und kommt davon Eis schleckend wieder zurück. Jetzt rollert der Papa und die Mama trägt das Fahrzeug.
Ein tiefschwarzer Mann, wie er sagt Portugiese bettelt um eine kleine Münze. Ich biete ihm an, ein Bier zu bezahlen. Er will das Geld. No, nicht die kleinste Münze, muy pequena. Er trinke nur Wein. Der Kellner kommt und entfernt ihn mit harschen Gesten. Und und ...
Es ist Nacht. Der Hotelmanager hat mir einen Kode gegeben, damit ich den Hotspot anwählen kann. Tut aber dann doch nicht. Draußen ist es zu schwül. Ich lasse die Klimaanlage eingeschaltet.
Senora Maria Camino geruhen, mich zu tadeln wegen Nichteinhaltung der zeitlichen Vereinbarungen das Frühstück betreffend. Ich entgegne mit großer Würde, dass Sie angesichts Ihres Verhaltens keinerlei recht auf Kritik habe. Wer wie sie den Gast, der in der Hoffnung auf eine günstige Unterkunft komme, um sein Geld bringe, habe alle Rechte auf Achtung verloren. Ich biete ihr 40 Euro, wenn nicht möge sie die Polizei holen. Sie schimpft in spanischer Sprache und macht dann den Vorschlag, mir noch ein Fresspaket mit Produkten eigener Hand mitzugeben. Ich akzeptiere. Der Kaffee ist schrecklich und unter Mikrowelle aufgewärmt. Wegen der nervlichen Anstrengung wird mir doch warm und gepackt is’ auch noch nich! Die Leute vom Pilgerbüro kommen und reden mit ihr. Gestern hat man noch darüber diskutiert, ob man ihr die Muschel aberkennt, die am Schild die Pilgerherberge ausweist ... Immerhin muss sie jetzt wissen, dass sie etwas riskiert, wenn sie die Anrufer nicht auf den neuen Preis hinweist.
Ich komme gut weg und bin bald oben am Col von Ibaneta, von wo aus man einen schier unglaublichen Blick in die Tiefe hat. Aus diesem unglaublichen Schlund kommen die Pilger herauf. Ich unterhalte mich mit einem BMW-Fahrer aus Magdeburg, so um die 50.
Zum ersten Mal ist seine Frau mit auf eine Motorradreise gegangen. Sie will den Weg gehen, er will ihn fahren. Also wartet er mit dem Gepaeck seiner Frau oben am Pass, bis sie ankommt.
Wenige Minuten später tauchen die Dächer des Kloster von Roncesvalles auf. Ich schaue mir den Kreuzgang und die Hauptkirche an, in der es einen Jakobsaltar gibt. Das königlich-navarresische Kloster war seit Beginn der Wallfahrt eine wichtige Haltestation. Ich bekomme sogar einen Stempel mit einem Eintrag "con moto hasta sarria"!
Abfahrt nach Pamplona. Tanken. Eine lieb dreinschauende Tankfrau ist mir behülflich. Ich gebe Ihr einen der letzten fünfziger aus dem Sigmaringer Fund! Casco antiguo bedeutet Altstadt. Das gibt es auch in Pamplona. Ich stelle das Moped an einem Platz ab, erwerbe mir eine Flasche gekühlten Kakao und marschiere durch die Gassen, durch welche an den Festtagen die Stiere getrieben werden. Es fällt auf, wie unglaublich sauber die Strassen sind. Viele Häuser sind farbenfroh restauriert und mit Blumen behängt. Die ganze Stadt scheint sehr lebendig zu sein, denn viele Autofahrer rufen mir unfreundliche Sachen zu idiota und so, weil ich halt keine Knautschzone habe und so meine eigenen Vorstellungen von Verkehr ...
Auf die Autobahn entweiche ich gen Logrono. Dazwischen liegen so wichtige Stationen wie Nostra Senora de Eunate, Puente la Reina und Estella. Ich stelle jeweils ein Bild ein. In Estella geht soeben ein Sensationsprozess mit einer Mörderin zu Ende. Sie kommt frei, was ich am Abend im Fernsehen mitbekomme, obwohl sie das Verbrechen zugegeben hat.
Mit etwas Verzögerung finde ich in Logrono ein Hotel, checke ein und bringe mich aus der Erschöpfung wieder ans Licht.
Um elf sitze ich am Marktplatz, trinke zwei Biere. Ein dicker Glatzkopf setzt sich zu mir und redet auf mich ein. Der Kellner kommt und steht mir bei. In ordentlichem Deutsch erklärt mir der Kellner, das dem Mann unangenehm war, von mir beobachtet zu werden. Dabei ist das abendliche Leben auf diesem schönen Kirchplatz wirklich fast wie ein Film: Eine behinderte junge Frau rollt in ihrem Elektrowagen telefonierend über den Platz, ein kleiner Hund trippelt mit drei Beinen, das vierte unregelmäßig zur Seite schleudernd, von einer Pinkelstelle zur nächsten. Eine Familie mit zwei rollernden Buben geht in die eine Richtung und kommt davon Eis schleckend wieder zurück. Jetzt rollert der Papa und die Mama trägt das Fahrzeug.
Ein tiefschwarzer Mann, wie er sagt Portugiese bettelt um eine kleine Münze. Ich biete ihm an, ein Bier zu bezahlen. Er will das Geld. No, nicht die kleinste Münze, muy pequena. Er trinke nur Wein. Der Kellner kommt und entfernt ihn mit harschen Gesten. Und und ...
Es ist Nacht. Der Hotelmanager hat mir einen Kode gegeben, damit ich den Hotspot anwählen kann. Tut aber dann doch nicht. Draußen ist es zu schwül. Ich lasse die Klimaanlage eingeschaltet.
Lourdes – St. Jean-Pied-de-Port
zweiundzwanzig – sechs
Mit der Hoteliere von Notre Dame de Lorette würde ich mich gerne bis zum beidseitigem Untergang kabbeln. Da sie der Überzeugung ist, dass man ohne sie, etwa bei Erkrankung, schließen müsse, schließt sie in dieses Muster auch alle anderen Dinge mit ein, selbst die, welche ihr egal sind, je m’en fiche! Die beiden Fahrradmänner aus dem Münsterland saßen einfach nicht comme il faut auf den Warteplätzen. Das hat ihr im Auge weh getan, wie sie mir sagt, als die weg sind. Die Pilger, die zu ihr kommen, lassen sich offenbar leicht lenken. Mir scheint, bei rechtem Hinschauen, braut sich da eine Revolution zusammen. Der neue Pilger ist im Kommen.
Zum zweiten Male brause ich schweißarm von hinnen. Einfach in Richtung Westen. Die Landschaft erscheint zuerst eher sanft und freundlich, sehr grün und sonnig, angenehm kühl.
Dann weitet sie sich und im Süden werden die Berge zackiger. Hinter eine Brücke taucht unversehens eine seltsame Baugruppe auf: Um einige großformatige Häuser und eine große Kirche ordnen sich in parkartiger Landschaft kleine Spielkirchen an. Es scheinen Kirchen und Dome für ein Zwergenvolk zu sein. Es sind aber die Heiligtümer von Bétharram. Ich halte an, fotografiere für Euch (!) und fahre mit dem Vorsatz weiter, die Sache im Internet zu recherchieren. Wenig später fahre ich auf das Netz der Pyrenäenstraßen auf, ein Gewimmel schöner touristischer Strecken, die ich wegen des allgegenwärtigen Rollsplit in aufrechter Haltung durchfahre. Ortsnamen wie Aramits und Tardetz deuten den Wechsel ins Baskische an. Alle Strassennamen und Ortsbezeichnungen, Geschäftsbezeichnungen und Hinweisschilder sind entweder nur baskisch oder zweisprachig. In einem unglaublich kleinen Ort von 12 Häusern gibt es einen Kirchplatz, wo ich eine Melone und etwas Proviant kaufe.
Da stehen drei Sonnenschirme und die Einladung, sich ohne Verpflichtung hinzusetzen. Aus einem Automaten kann ich ein Cola Light auslösen, und dazu Käse, Schinken und Brot essen. Solltet Ihr auf dem Foto eine Weinflasche erkennen, so seht Ihr richtig.
Der Betreiber des Andenkenladens erscheint. Er hat die Muschel auf dem Motorrad gesehen und fragt, was mich hierher verschlagen hat. Ich erkläre ihm meinen Plan. Er holt Kaffee und kleine Trockenkuchen, gefüllte Madeleines. Zwei Schulkinder wollen sich aufs Motorrad setzen, ein Streit entbrennt. Der Papa schlichtet. Unter dem Druck der Ereignisse bocke ich das Moped hoch, jetzt steht es stabil und die Kinder können darauf herumturnen. Die Mutter ist mit einem belgischen Jakobspilger weitergezogen, dann hat er wieder geheiratet. Er ist nicht sauer auf den Pilger, aber er schaut sich die Kerle genau an. Seine Frau kommt aus dem Lebensmittelladen nebendran, wischt sich die Hände an der Schürze ab. Ich überlege mir, ob sie eine Versuchung wert ist. Aber er hat sich wohl etwas ganz stabiles zugelegt.
Dann kommt die lange Anfahrt auf St. Jean-Pied-de-Port. Zuerst unendlich lange hinauf und dann ewig hinunter. Unglaublich schöne Bilder! Ich habe kein einziges Foto gemacht und bin wie besoffen durch die Lüfte gesegelt.
Ich rufe einen Zimmervermieter an und bestelle ein Zimmer für 20 €. Es klappt, zwischen vier und fünf werde ich dort ankommen. Um halb fünf stehe ich vor der Türe. Ein trotteliger Mann, der kein Französisch spricht (erster Einsatz meiner neuen Spanisch-Faehigkeiten), klärt mich auf, dass seine Frau wie alle Frauen beim Plappern die Zeit vergisst. Aber man kann ihnen nicht böse sein. Das muss man in Kauf nehmen. Weshalb hat Gott uns Männer vollkommen gemacht? Doch nur, um den Frauen ein Vorbild vor Augen zu stellen. Aber sie kriegen das einfach nicht hin ...
Um halbsechs erscheint eine zierliche gepflegte Person, der man die Schärfe vor dem ersten Ton schon ansieht, vielleicht 75. Später stellt sich heraus, dass ihr Mann 67 und sie 66 ist.
Sie bekommen das schönste Zimmer, mit warmem Wasser. Es kommt sehr heiß, passen Sie auf Monsieur. Ich kann das Moped irgendwie am Haus abstellen, mit einem Stein am Hinterrad. Ich komme schon beim Gedanken an das Wiederbeladen einen Schweißausbruch.
Vous avez une très belle moto! OK, aber das Zimmer ist, außer sauber, schrecklich. Kein Schlüssel (wir lassen hier alles offen), Toilette und Klo weit weg (dann gibt es keine unangenehmen Gerüche im Zimmer), kein Zahnputzglas (fragen Sie, wenn sie etwas brauchen), keine elektrischen Anschlüsse (wir lieben es traditionell). Aus diesen und weiteren Defiziten errechnet sie einen Zuschlag von 250%, also 50 Euro, Pilger sind Sie, gut, dann 45.
Aber dabei bleibts! Ich gehe zum Pilgerbüro, wo man Überlegungen anstellt. Zunächst besorgt man mir ein anderes Zimmer, aber ich bin zu müde und die Dinge haben sich schon zu weit entwickelt. Vielleicht, wenn ich kein Deutscher gewesen wäre ...
Ich kauf mir noch eine Flasche Orangensaft und gehe ins Bett..
Mit der Hoteliere von Notre Dame de Lorette würde ich mich gerne bis zum beidseitigem Untergang kabbeln. Da sie der Überzeugung ist, dass man ohne sie, etwa bei Erkrankung, schließen müsse, schließt sie in dieses Muster auch alle anderen Dinge mit ein, selbst die, welche ihr egal sind, je m’en fiche! Die beiden Fahrradmänner aus dem Münsterland saßen einfach nicht comme il faut auf den Warteplätzen. Das hat ihr im Auge weh getan, wie sie mir sagt, als die weg sind. Die Pilger, die zu ihr kommen, lassen sich offenbar leicht lenken. Mir scheint, bei rechtem Hinschauen, braut sich da eine Revolution zusammen. Der neue Pilger ist im Kommen.
Zum zweiten Male brause ich schweißarm von hinnen. Einfach in Richtung Westen. Die Landschaft erscheint zuerst eher sanft und freundlich, sehr grün und sonnig, angenehm kühl.
Dann weitet sie sich und im Süden werden die Berge zackiger. Hinter eine Brücke taucht unversehens eine seltsame Baugruppe auf: Um einige großformatige Häuser und eine große Kirche ordnen sich in parkartiger Landschaft kleine Spielkirchen an. Es scheinen Kirchen und Dome für ein Zwergenvolk zu sein. Es sind aber die Heiligtümer von Bétharram. Ich halte an, fotografiere für Euch (!) und fahre mit dem Vorsatz weiter, die Sache im Internet zu recherchieren. Wenig später fahre ich auf das Netz der Pyrenäenstraßen auf, ein Gewimmel schöner touristischer Strecken, die ich wegen des allgegenwärtigen Rollsplit in aufrechter Haltung durchfahre. Ortsnamen wie Aramits und Tardetz deuten den Wechsel ins Baskische an. Alle Strassennamen und Ortsbezeichnungen, Geschäftsbezeichnungen und Hinweisschilder sind entweder nur baskisch oder zweisprachig. In einem unglaublich kleinen Ort von 12 Häusern gibt es einen Kirchplatz, wo ich eine Melone und etwas Proviant kaufe.
Da stehen drei Sonnenschirme und die Einladung, sich ohne Verpflichtung hinzusetzen. Aus einem Automaten kann ich ein Cola Light auslösen, und dazu Käse, Schinken und Brot essen. Solltet Ihr auf dem Foto eine Weinflasche erkennen, so seht Ihr richtig.
Der Betreiber des Andenkenladens erscheint. Er hat die Muschel auf dem Motorrad gesehen und fragt, was mich hierher verschlagen hat. Ich erkläre ihm meinen Plan. Er holt Kaffee und kleine Trockenkuchen, gefüllte Madeleines. Zwei Schulkinder wollen sich aufs Motorrad setzen, ein Streit entbrennt. Der Papa schlichtet. Unter dem Druck der Ereignisse bocke ich das Moped hoch, jetzt steht es stabil und die Kinder können darauf herumturnen. Die Mutter ist mit einem belgischen Jakobspilger weitergezogen, dann hat er wieder geheiratet. Er ist nicht sauer auf den Pilger, aber er schaut sich die Kerle genau an. Seine Frau kommt aus dem Lebensmittelladen nebendran, wischt sich die Hände an der Schürze ab. Ich überlege mir, ob sie eine Versuchung wert ist. Aber er hat sich wohl etwas ganz stabiles zugelegt.
Dann kommt die lange Anfahrt auf St. Jean-Pied-de-Port. Zuerst unendlich lange hinauf und dann ewig hinunter. Unglaublich schöne Bilder! Ich habe kein einziges Foto gemacht und bin wie besoffen durch die Lüfte gesegelt.
Ich rufe einen Zimmervermieter an und bestelle ein Zimmer für 20 €. Es klappt, zwischen vier und fünf werde ich dort ankommen. Um halb fünf stehe ich vor der Türe. Ein trotteliger Mann, der kein Französisch spricht (erster Einsatz meiner neuen Spanisch-Faehigkeiten), klärt mich auf, dass seine Frau wie alle Frauen beim Plappern die Zeit vergisst. Aber man kann ihnen nicht böse sein. Das muss man in Kauf nehmen. Weshalb hat Gott uns Männer vollkommen gemacht? Doch nur, um den Frauen ein Vorbild vor Augen zu stellen. Aber sie kriegen das einfach nicht hin ...
Um halbsechs erscheint eine zierliche gepflegte Person, der man die Schärfe vor dem ersten Ton schon ansieht, vielleicht 75. Später stellt sich heraus, dass ihr Mann 67 und sie 66 ist.
Sie bekommen das schönste Zimmer, mit warmem Wasser. Es kommt sehr heiß, passen Sie auf Monsieur. Ich kann das Moped irgendwie am Haus abstellen, mit einem Stein am Hinterrad. Ich komme schon beim Gedanken an das Wiederbeladen einen Schweißausbruch.
Vous avez une très belle moto! OK, aber das Zimmer ist, außer sauber, schrecklich. Kein Schlüssel (wir lassen hier alles offen), Toilette und Klo weit weg (dann gibt es keine unangenehmen Gerüche im Zimmer), kein Zahnputzglas (fragen Sie, wenn sie etwas brauchen), keine elektrischen Anschlüsse (wir lieben es traditionell). Aus diesen und weiteren Defiziten errechnet sie einen Zuschlag von 250%, also 50 Euro, Pilger sind Sie, gut, dann 45.
Aber dabei bleibts! Ich gehe zum Pilgerbüro, wo man Überlegungen anstellt. Zunächst besorgt man mir ein anderes Zimmer, aber ich bin zu müde und die Dinge haben sich schon zu weit entwickelt. Vielleicht, wenn ich kein Deutscher gewesen wäre ...
Ich kauf mir noch eine Flasche Orangensaft und gehe ins Bett..
Montag, 22. Juni 2009
Lourdes
einsundzwanzig – sechs
Sonntag! Um sieben stoße ich die eisernen Faltläden auf. Über das trostlose Hotelhinterleben mit den Bahngeleisen und den immerwährenden Straßengeräuschechos, die von allen Seiten kommen, hat sich ein strahlender Sonntagshimmel gelegt. Ich beschließe: Lourdes angucken und sehen, wie ich mich in die Gavarnie, den Pyrenäenzirkus bewegen kann. Zuvor aber doch anderes:
Anmerkungen zum französischen Frühstück, Sonntag, 8 Uhr 15 (comédie tragique, Entwurf)
Die Frage nach dem Getränk läuft immer auf schwarzen Kaffee mit etwas Milch hinaus. Also:
Die Requisite hat auf dem Tischlein eine große braune Tasse samt Untertasse und dazwischen eingezirkelter Papierserviette abgestellt. Dazu ein verchromter Untersetzer (Blechschmiedekunst Jugendstil), ein Schnapsglas mit pürierter Pflaumenkonfitüre und ein 10 Gramm Butterstückchen. Ein Kaffeelöffel bei der Konfitüre, ein Messer bei der Tasse.
Maître d’hôtel (mh, Besitzerin, sehr aufgeräumte Mittsechzigerin, unaufgeregte, absolute Autorität): Bonjour, Monsieur! Was möchten Sie trinken? Schwarzen Kaffee? Wie immer?
Gast: Ich ziehe sonntags eine tisane (so etwas wie z. B. Lindenblütentee) vor, etwas leichtes, bitte, ohne Milch. Und hätten Sie mir zur Feier des Tages vielleicht ein weiches Ei?! Bitte, Madame, es ist doch Sonntag, Madame.
(Das Ausrufezeichen erspare ich mir, weil durch das Aussprechen des utopischen Wunsches der Druck auf die Geschmackspapillen bereits nachgelassen hat.)
Gast lächelt etwas blöde und mit wässerndem Auge.
mh: Recht gerne, haben Sie sonst noch einen Wunsch?
Gast: Nein, damit könnten Sie mich glücklich machen!
mh verschwindet hinter Klapptüre.
Gast nimmt Tasse und Teller auseinander für das zu erwartende Brot oder Kuchen.
mh kommt augenblicklich wieder dahinter hervor.
mh (mit lockerer Handhaltung, so als wollte Sie einem wenig geschätzten Kollegen zeigen, wo die Türe ist): Da fällt mir ein, Monsieur, dass uns gestern die sachets de tisane ausgegangen sind. Hat Ihnen der Kaffee gestern nicht zugesagt?
Ihre Stimme bekommt eine nicht identifizierbare, dennoch schärfere Färbung, das Kinn hebt sich leicht. Und mit einer müde wirkenden Handgeste auf ein ordentlich gerahmtes Textbild in Helvetica Bold, 50 Punkt.(Text, deutsch: Den verehrten Pensionsgaesten wird unterbreitet, dass jede Aenderung der Vereinbarungen zusaetzliche Kosten verursacht.)
Und, Monsieur, bitte sehr, Sonderwünsche müssen wir gesondert berechnen, wollen Sie auf dem Ei bestehen? Eier dürfen nach der französischen Rechtslage nur hart gekocht dem Gast verabreicht werden. Und bedenken Sie, Monsieur, la cholesterine!
mh bekommt etwas verschwörerisches in die fein ziselierten Linien des einst so ... Gesichts.
Überall ist dieses Zeug drin wenn man alles zusammenrechnet ist man in der Woche zwanzig Eier und mehr dabei soll man nur höchstens zwei nehmen damit man gesund bleibt. Ich sehe Sie gerne hier, aber finden sie nicht, wenn man die Wahl hätte ...
mh ab hinter die Schwingklappe.
Erscheint sofort wieder.
mh: Mein Haus ist untröstlich, aber die bestellten Eier kommen erst gegen Mittag.
Ein anderer Gast, es sind deren etwa ein Dutzend (zusammen um die Tausend Jahre alt) schattenhaft vergegenwärtigt, wagt ein akustisches Zeichen:
Anderer Gast: Mada ...
mh (zuckrig): Je ne pense qu’à vous, Monsieur.
mh zu Gast (zwischen den Zähnen) : Würden Sie sich, Monsieur, bitte entscheiden ... Meine (Lebens-) Zeit ist beschränkt und ich habe noch andere Gäste.
mh nimmt das Messer vom Teller und stellt den Originalzustand wieder her.
Gast resigniert: Bitte, Madame, ich überlasse Ihnen mein Leben. Tun Sie, was Sie für gut halten.
mh: Schämen Sie sich, das ist eine ernste Sache, darüber macht man sich nicht lustig. Die Menschen kommen hier her nach Lourdes, weil sie in Not sind und da kommen Sie und wollen ein weiches Ei.
Enteilt in die Küche und bringt ein Körbchen mit 1 Croissant, 3 kleinen Baguettescheiben und 2 Zwiebacks,1 Kännchen ganz schwarzen Kaffee und 1 putziges Kännchen mit warmer H-Milch.
In der kleinen Pause hat der Gast Tasse und Teller wieder auseinandergenommen. In der Tasse befinden sich zwei (mitgebrachte) Tabletten Süssstoff.
mh (kommt vorbei, beglückt, wie es scheint, sieht den Suessstoff in der Tasse): Sind Monsieur zufrieden. Oh, verzeihen Sie die Unaufmerksamkeit, ich bringe Ihnen eine frische Tasse.
Nimmt mit Schwung die Tasse und stellt Sekunden danach eine frische Tasse auf den Teller, wo sie ja hingehört.
Der Gast vermutet nicht zu Unrecht, dass die Süßstofftabletten gesammelt und bei Nachfrage verabreicht werden.
Der Gast schlürft den grauen Sud, vereinigt angesichts der völligen Niederlage lustlos Konfitüre mit Butter und Baguette, zerrupft das Croissant und entschwindet ins Zimmer, wo er noch etwas dunkles Brot, Roquefort, Schinken, Orangen mit Ingwer- Konfitüre und eine halbe Flasche Rotwein gebunkert hat. Dann kann der Sonntag beginnen.
Bei Weltgerichtsszenen auf den Tümpanönern mittelalterlicher Kathedralen sind zur Linken des Wiederkommenden die Verdammten dargestellt, die Quälgeister und der Namenlose selbst. Dort meine ich auch immer zwieder mh zu erkennen. Um das möglichst lange zu genießen, hole ich mir beim naechsten Mal aus der Kirche einen Stuhl.
Es ist kurz vor zehn, draußen tobt ein Hupkonzert. Vor meiner Zimmertüre toben die Reinemachefrauen mit Staubsaugern und Schlüsseln. Ich warte auf einen vorbeifahrenden Zug.
Lourdes ist sehr geschäftig, etwas dreckig, noch nicht ganz in der Zeit angekommen. Die Einrichtungen des Wallfahrtsbetriebs dagegen schon. Moderne Architektur, dahinter tüchtige Infrastruktur, um die Menschen der Weltkirche zu betreuen. Unglaublich viel ehrenamtliches Engagement wird mitgebracht. Ich habe deutsche Betreuer gefragt. Sie bekommen die Fahrt und die Unterkunft in Gemeinschaftsquartieren. Manche bezahlen einen Beitrag fürs Essen.
Unter dem grossen gruen-gelben Fleck auf dem Foto befindet sich eine unterirdische Kirche, die 22000 Menschen fasst.
Die Festung ist ein Muss! Die Aufbereitung als Museum ist fürchterlich, aber die Exponate zum Thema Ethnologie der Pyrenäen lohnen die 5 Euro.
Ein bisschen weiter unten gibt es ein Marokanisches Restaurant „Fantasie“, wo ich mir einen sehr gelungenen Couscous Royale einverleibt habe. Abends, versteht sich, und vor der Prozession.
Sonntag! Um sieben stoße ich die eisernen Faltläden auf. Über das trostlose Hotelhinterleben mit den Bahngeleisen und den immerwährenden Straßengeräuschechos, die von allen Seiten kommen, hat sich ein strahlender Sonntagshimmel gelegt. Ich beschließe: Lourdes angucken und sehen, wie ich mich in die Gavarnie, den Pyrenäenzirkus bewegen kann. Zuvor aber doch anderes:
Anmerkungen zum französischen Frühstück, Sonntag, 8 Uhr 15 (comédie tragique, Entwurf)
Die Frage nach dem Getränk läuft immer auf schwarzen Kaffee mit etwas Milch hinaus. Also:
Die Requisite hat auf dem Tischlein eine große braune Tasse samt Untertasse und dazwischen eingezirkelter Papierserviette abgestellt. Dazu ein verchromter Untersetzer (Blechschmiedekunst Jugendstil), ein Schnapsglas mit pürierter Pflaumenkonfitüre und ein 10 Gramm Butterstückchen. Ein Kaffeelöffel bei der Konfitüre, ein Messer bei der Tasse.
Maître d’hôtel (mh, Besitzerin, sehr aufgeräumte Mittsechzigerin, unaufgeregte, absolute Autorität): Bonjour, Monsieur! Was möchten Sie trinken? Schwarzen Kaffee? Wie immer?
Gast: Ich ziehe sonntags eine tisane (so etwas wie z. B. Lindenblütentee) vor, etwas leichtes, bitte, ohne Milch. Und hätten Sie mir zur Feier des Tages vielleicht ein weiches Ei?! Bitte, Madame, es ist doch Sonntag, Madame.
(Das Ausrufezeichen erspare ich mir, weil durch das Aussprechen des utopischen Wunsches der Druck auf die Geschmackspapillen bereits nachgelassen hat.)
Gast lächelt etwas blöde und mit wässerndem Auge.
mh: Recht gerne, haben Sie sonst noch einen Wunsch?
Gast: Nein, damit könnten Sie mich glücklich machen!
mh verschwindet hinter Klapptüre.
Gast nimmt Tasse und Teller auseinander für das zu erwartende Brot oder Kuchen.
mh kommt augenblicklich wieder dahinter hervor.
mh (mit lockerer Handhaltung, so als wollte Sie einem wenig geschätzten Kollegen zeigen, wo die Türe ist): Da fällt mir ein, Monsieur, dass uns gestern die sachets de tisane ausgegangen sind. Hat Ihnen der Kaffee gestern nicht zugesagt?
Ihre Stimme bekommt eine nicht identifizierbare, dennoch schärfere Färbung, das Kinn hebt sich leicht. Und mit einer müde wirkenden Handgeste auf ein ordentlich gerahmtes Textbild in Helvetica Bold, 50 Punkt.(Text, deutsch: Den verehrten Pensionsgaesten wird unterbreitet, dass jede Aenderung der Vereinbarungen zusaetzliche Kosten verursacht.)
Und, Monsieur, bitte sehr, Sonderwünsche müssen wir gesondert berechnen, wollen Sie auf dem Ei bestehen? Eier dürfen nach der französischen Rechtslage nur hart gekocht dem Gast verabreicht werden. Und bedenken Sie, Monsieur, la cholesterine!
mh bekommt etwas verschwörerisches in die fein ziselierten Linien des einst so ... Gesichts.
Überall ist dieses Zeug drin wenn man alles zusammenrechnet ist man in der Woche zwanzig Eier und mehr dabei soll man nur höchstens zwei nehmen damit man gesund bleibt. Ich sehe Sie gerne hier, aber finden sie nicht, wenn man die Wahl hätte ...
mh ab hinter die Schwingklappe.
Erscheint sofort wieder.
mh: Mein Haus ist untröstlich, aber die bestellten Eier kommen erst gegen Mittag.
Ein anderer Gast, es sind deren etwa ein Dutzend (zusammen um die Tausend Jahre alt) schattenhaft vergegenwärtigt, wagt ein akustisches Zeichen:
Anderer Gast: Mada ...
mh (zuckrig): Je ne pense qu’à vous, Monsieur.
mh zu Gast (zwischen den Zähnen) : Würden Sie sich, Monsieur, bitte entscheiden ... Meine (Lebens-) Zeit ist beschränkt und ich habe noch andere Gäste.
mh nimmt das Messer vom Teller und stellt den Originalzustand wieder her.
Gast resigniert: Bitte, Madame, ich überlasse Ihnen mein Leben. Tun Sie, was Sie für gut halten.
mh: Schämen Sie sich, das ist eine ernste Sache, darüber macht man sich nicht lustig. Die Menschen kommen hier her nach Lourdes, weil sie in Not sind und da kommen Sie und wollen ein weiches Ei.
Enteilt in die Küche und bringt ein Körbchen mit 1 Croissant, 3 kleinen Baguettescheiben und 2 Zwiebacks,1 Kännchen ganz schwarzen Kaffee und 1 putziges Kännchen mit warmer H-Milch.
In der kleinen Pause hat der Gast Tasse und Teller wieder auseinandergenommen. In der Tasse befinden sich zwei (mitgebrachte) Tabletten Süssstoff.
mh (kommt vorbei, beglückt, wie es scheint, sieht den Suessstoff in der Tasse): Sind Monsieur zufrieden. Oh, verzeihen Sie die Unaufmerksamkeit, ich bringe Ihnen eine frische Tasse.
Nimmt mit Schwung die Tasse und stellt Sekunden danach eine frische Tasse auf den Teller, wo sie ja hingehört.
Der Gast vermutet nicht zu Unrecht, dass die Süßstofftabletten gesammelt und bei Nachfrage verabreicht werden.
Der Gast schlürft den grauen Sud, vereinigt angesichts der völligen Niederlage lustlos Konfitüre mit Butter und Baguette, zerrupft das Croissant und entschwindet ins Zimmer, wo er noch etwas dunkles Brot, Roquefort, Schinken, Orangen mit Ingwer- Konfitüre und eine halbe Flasche Rotwein gebunkert hat. Dann kann der Sonntag beginnen.
Bei Weltgerichtsszenen auf den Tümpanönern mittelalterlicher Kathedralen sind zur Linken des Wiederkommenden die Verdammten dargestellt, die Quälgeister und der Namenlose selbst. Dort meine ich auch immer zwieder mh zu erkennen. Um das möglichst lange zu genießen, hole ich mir beim naechsten Mal aus der Kirche einen Stuhl.
Es ist kurz vor zehn, draußen tobt ein Hupkonzert. Vor meiner Zimmertüre toben die Reinemachefrauen mit Staubsaugern und Schlüsseln. Ich warte auf einen vorbeifahrenden Zug.
Lourdes ist sehr geschäftig, etwas dreckig, noch nicht ganz in der Zeit angekommen. Die Einrichtungen des Wallfahrtsbetriebs dagegen schon. Moderne Architektur, dahinter tüchtige Infrastruktur, um die Menschen der Weltkirche zu betreuen. Unglaublich viel ehrenamtliches Engagement wird mitgebracht. Ich habe deutsche Betreuer gefragt. Sie bekommen die Fahrt und die Unterkunft in Gemeinschaftsquartieren. Manche bezahlen einen Beitrag fürs Essen.
Unter dem grossen gruen-gelben Fleck auf dem Foto befindet sich eine unterirdische Kirche, die 22000 Menschen fasst.
Die Festung ist ein Muss! Die Aufbereitung als Museum ist fürchterlich, aber die Exponate zum Thema Ethnologie der Pyrenäen lohnen die 5 Euro.
Ein bisschen weiter unten gibt es ein Marokanisches Restaurant „Fantasie“, wo ich mir einen sehr gelungenen Couscous Royale einverleibt habe. Abends, versteht sich, und vor der Prozession.
Cahors – Lauzerte – Moissac – Lourdes
zwanzig – sechs
Abschied von Mélaine, Pierrot und Louka
Bei meinen Gastgebern in der rue des Jacobins werden die Menschen ausgeräumt. Zuerst geht Philippe Bontemps, Mitschläfer, Vater von drei Söhnen, mit prächtigem Körperbau, so um die 45, aus dem Norden (Aisne). Er zeigt mir seine Operationsnarben. Über Schenkel und Hintern in den Rücken hinein eine Geheimkarte der Anatomie. Sieht aus wie die Schnittmuster bei den Metzgern, Schweine, Schafe, Rinder. Die beiden älteren Söhne sind selbständig und irgendwie versorgt, um sie macht er sich keine Sorgen. Gerne hätte er gesehen, dass auch sein Jüngster was ordentliches macht. Der hat aber keine Lust selbst zu arbeiten, kriegt über vierhundert € Sozialhilfe pro Monat. Dafür schafft die schwarze Freundin, den Rest darf man sich ausmalen, was sie tut. Als er geht, wünsche ich ihm bon chemin! Ultreja! (sprich: ültreia!), er grinsend: à toi aussi, Nutella! (sprich: nüteia!) Aldous Huxley hat mit Ford sei Dank eine ähnliche Konstruktion gewagt! Vielleicht trägt die Kombination aus beidem dazu bei, dass sein Jüngster doch noch auf die Reihe kommt. En tout cas: Allzeit gut Nutella! Damit liesse sich mancher Frust niederringen!
Die beiden Elsässer aus Mühlhouse sind die nächsten. Die beiden Männer wandern seit vielen Jahren zusammen und haben sich den Weg vorgenommen, weil sie die vorhandene Infrastruktur schätzen. Sie gehen diejenigen Abschnitte, die im Rother-Guide als landschaftlich reizvoll beschrieben werden. Von Kirchen und Kultur wollen sie nichts wissen und wollen auch keine Zeit damit vergeuden. Ordentlich schwitzen und den lebendigen Körper spüren. Warum dann einen Pilgerweg?
Die vorletzten sind Opa (78), Sohn (40) und Neffe/Enkel (22) aus der Gegend von Narbonne . Der Sohn ist Véganer (überhaupt treffe ich auffallend viele davon auf dem Weg!), weil die Mutter Haustiere geschlachtet hat, die er liebte, Hasen, vor allem. Iss nichts, was Augen hat, ist seine Devise. Damit habe ich auch schon geflirtet. Sie sind die ersten, die eine weltanschauliche Motivation haben und ihr religiöses Interesse auch mitteilen. Der Sohn ist areligiös, geht aber mit, weil er für den Vater die Last mitträgt, ebenso wie der Enkel. An ihm reiben sich die beiden anderen. Als ich die drei beim Pont de Valentré noch einmal treffe, machen sie nur eine Fotopause, um danach über die Frage weiter zu streiten, ob Wanderschaft und Gottesglaube sich einander bedingen. Für den Fall, dass er ernsthaft befürchten müsse, bei der Pilgerschaft gläubig zu werden, würde lieber wieder heimfahren. Meint der Sohn, aber wer trägt dann den Rucksack!
Der Letzte bin ich. Fotos, Küsschen, Abfahrt. Zum ersten Mal bin ich nicht schweißgebadet. Hab ich was richtig gemacht? Faengt der Weg an, sich bei mir auszuwirken?
Pierrot öffnet das Hoftor. En route!
Knapp zwei Stunden später stelle ich das Moped in Lauzerte, einer märchenhaften, mittelalterlich wirkenden Bergstadt ab. Eines der schönsten Dörfer Frankreichs! Es ist Markttag.
Überall englische Touristen. Ich erwerbe ein Schälchen gelbe und rote Himbeeren, mit ein paar schwarzen Kirschen und Brombeeren. Die Frau bittet mich, das Schälchen zurückzubringen, wenn es leer ist. Etwas weiter verkauft eine junge, sehr aparte Frau selbstgebackenes Kastenbrot aus Vollkornmehlen. Auf den ersten Blick ähnelt sie Anne, in Größe und Raumbedarf, aber das Gesicht hat etwas unbestimmt-südliches, und doch kühles, was vielleicht eher seelische Ursprünge hat. In meinem Roman ist ihr Mann ein Hanswurst und kann allenfalls zu gelegentlicher Verzweiflungsarbeit überredet werden. Die Kinder werden von der Nachbarin beaufsichtigt, die selber in ähnlicher Not ist. Sie schneidet meinen halben Kasten gleich in Scheiben. Das passt. Im Café du Commerce entdeckt man des Pudels Kern. Das Städtchen war mal englisch besetzt und ist auch heute noch fest in englischer Hand.
Wenn man einen Café nimmt kriegt man auf Nachfrage eine Codenummer und kann sich in einen Hotspot einklinken und kostenfrei surfen. Bei meinem Moped ist unterdessen ein großer Auflauf. Eine Frau (von mir eigenäugig beobachtet) hat ihr Auto so hingestellt, dass es eine Toreinfahrt blockiert, in der ein Auto mit abfahrwilliger Fahrerin steht. Obwohl man das nicht verschlossene Auto hin und herschiebt, kommt nicht die notwendige Lücke zustande.
Schließlich treibt man den Fahrer des Vorderautos auf, der fährt weg und ich parke dann das Deliktwägelchen in den Blumen eines Gärtnerladens. Die Menschentraube zerstreut sich. Ich habe etwas für den Ruhm des Vaterlandes getan. Beim Wegfahren erscheint seelenruhig die Delinquentin, eine hübsch verpackte Vierzigerin, besteigt das Vehikel und braust davon. Niemand ist mehr da, der sich dafuer interessiert.
Dann Moissac. Bis 14 Uhr will ich bleiben, weil ich den Stempel im Credencial haben will. Es ist richtig warm geworden, ich packe an einer Parkbank mein Essen aus, als sich ein Mann um die vierzig vor mir aufbaut und sagt: Ich habe die Muschel auf Ihrem Rucksack gesehen! Es ist Svend aus Bergisch-Gladbach. Er ist in Le Puy aufgebrochen und hat trotz seiner guten Physis Schwierigkeiten mit einem Knie. Wir diskutieren, was man machen kann. Der Weg erzeugt Herausforderungen, die jeder auf seine Weise beantwortet. Auf jeden Fall so scheint mir hat die Körperorientierung gegenüber der spirituellen oder juristisch-sozialen heute einen höheren Stellenwert als früher. Es könnte aber auch sein, dass der Weg einer Art horizontalem Bergsteigen gleichkommt. Am Gipfel ankommen erzeugt auch eine fast mystische Verfas-sung. Die organisatorischen Vorzüge meiner Kombination von Fußwanderung und Motorrad-reise gefallen meinem Gesprächspartner, ebenso die Überlegungen zu Reisepartner-schaft und Einstellungsfragen. Ein anderes Thema ist dieses allein gehen und abends Leute treffen. Die Paare, die ich getroffen habe, gehen zwar zusammen, es gibt aber oft unterschiedliche Meinungen darüber, ob das gut ist. Wenn ich als Arbeitshypo-these unterscheiden möchte, dann ist Pilgern eine individuelle Weg-Gehe-Form, Wallfahren eine soziale Übung. Die Zweier-Form hat beides, aber nicht in optimaler Weise. Es gibt auch eine Entsprechung im Zen. Der Denkweg der Koans ähnelt dem Denken beim Pilgerwandern. Der einmal gewonnene Rhythmus lässt das Bewusstsein schon mal leer laufen! Die Befreiung vom bewussten Vorhandensein des Ich ist sehr wohltuend und erholsam.
Aber das sind Dinge, die wir nicht besprochen haben.
Svend bleibt im Gîte, um zwei bekomme ich meinen Stempel und reise in Richtung Lourdes ab, wo ich kurz vor sieben ankomme. Unweit von Grotte und Platz finde ich ein Hotel und bezahle für zwei Übernachtungen. Das Moped kann ich in einer ueberaus komischen Szene am Hotel abstellen, die Inhaberin selbst bestimmt die Abstaende zu Haus und anderen Autos auf den Millimeter, indem sie groteske Spruenge mit zusammen-gekniffenen Augen kombiniert (s. auch Anmerkungen zum Fruehstueck).
Nach dem Abendessen beginnt wie jeden Abend eine Lichterprozession, an der ich teilnehme: Als Mitglied der Gruppe des Bayrischen Pilgerbüros, auf die ich genau zugehe. Was ich da erlebe, muss ich noch verarbeiten. Ich trage, den Rosenkranz mitbetend und mitsingend, einer namenlos gütigen Vermittlerin meine Anliegen vor und hoffe, dass es neben dem Dienstweg noch andere effiziente Kanäle für solche Dinge gibt. Zwei Frauen aus Lengfeld bei Marktheidenfeld nehmen sich meiner an und erklären mir alles, was man wissen muss.
Edith ist zuhause, hört ein bisschen mit. Ich besuche die Grotte und bin um elf im Bett.
Abschied von Mélaine, Pierrot und Louka
Bei meinen Gastgebern in der rue des Jacobins werden die Menschen ausgeräumt. Zuerst geht Philippe Bontemps, Mitschläfer, Vater von drei Söhnen, mit prächtigem Körperbau, so um die 45, aus dem Norden (Aisne). Er zeigt mir seine Operationsnarben. Über Schenkel und Hintern in den Rücken hinein eine Geheimkarte der Anatomie. Sieht aus wie die Schnittmuster bei den Metzgern, Schweine, Schafe, Rinder. Die beiden älteren Söhne sind selbständig und irgendwie versorgt, um sie macht er sich keine Sorgen. Gerne hätte er gesehen, dass auch sein Jüngster was ordentliches macht. Der hat aber keine Lust selbst zu arbeiten, kriegt über vierhundert € Sozialhilfe pro Monat. Dafür schafft die schwarze Freundin, den Rest darf man sich ausmalen, was sie tut. Als er geht, wünsche ich ihm bon chemin! Ultreja! (sprich: ültreia!), er grinsend: à toi aussi, Nutella! (sprich: nüteia!) Aldous Huxley hat mit Ford sei Dank eine ähnliche Konstruktion gewagt! Vielleicht trägt die Kombination aus beidem dazu bei, dass sein Jüngster doch noch auf die Reihe kommt. En tout cas: Allzeit gut Nutella! Damit liesse sich mancher Frust niederringen!
Die beiden Elsässer aus Mühlhouse sind die nächsten. Die beiden Männer wandern seit vielen Jahren zusammen und haben sich den Weg vorgenommen, weil sie die vorhandene Infrastruktur schätzen. Sie gehen diejenigen Abschnitte, die im Rother-Guide als landschaftlich reizvoll beschrieben werden. Von Kirchen und Kultur wollen sie nichts wissen und wollen auch keine Zeit damit vergeuden. Ordentlich schwitzen und den lebendigen Körper spüren. Warum dann einen Pilgerweg?
Die vorletzten sind Opa (78), Sohn (40) und Neffe/Enkel (22) aus der Gegend von Narbonne . Der Sohn ist Véganer (überhaupt treffe ich auffallend viele davon auf dem Weg!), weil die Mutter Haustiere geschlachtet hat, die er liebte, Hasen, vor allem. Iss nichts, was Augen hat, ist seine Devise. Damit habe ich auch schon geflirtet. Sie sind die ersten, die eine weltanschauliche Motivation haben und ihr religiöses Interesse auch mitteilen. Der Sohn ist areligiös, geht aber mit, weil er für den Vater die Last mitträgt, ebenso wie der Enkel. An ihm reiben sich die beiden anderen. Als ich die drei beim Pont de Valentré noch einmal treffe, machen sie nur eine Fotopause, um danach über die Frage weiter zu streiten, ob Wanderschaft und Gottesglaube sich einander bedingen. Für den Fall, dass er ernsthaft befürchten müsse, bei der Pilgerschaft gläubig zu werden, würde lieber wieder heimfahren. Meint der Sohn, aber wer trägt dann den Rucksack!
Der Letzte bin ich. Fotos, Küsschen, Abfahrt. Zum ersten Mal bin ich nicht schweißgebadet. Hab ich was richtig gemacht? Faengt der Weg an, sich bei mir auszuwirken?
Pierrot öffnet das Hoftor. En route!
Knapp zwei Stunden später stelle ich das Moped in Lauzerte, einer märchenhaften, mittelalterlich wirkenden Bergstadt ab. Eines der schönsten Dörfer Frankreichs! Es ist Markttag.
Überall englische Touristen. Ich erwerbe ein Schälchen gelbe und rote Himbeeren, mit ein paar schwarzen Kirschen und Brombeeren. Die Frau bittet mich, das Schälchen zurückzubringen, wenn es leer ist. Etwas weiter verkauft eine junge, sehr aparte Frau selbstgebackenes Kastenbrot aus Vollkornmehlen. Auf den ersten Blick ähnelt sie Anne, in Größe und Raumbedarf, aber das Gesicht hat etwas unbestimmt-südliches, und doch kühles, was vielleicht eher seelische Ursprünge hat. In meinem Roman ist ihr Mann ein Hanswurst und kann allenfalls zu gelegentlicher Verzweiflungsarbeit überredet werden. Die Kinder werden von der Nachbarin beaufsichtigt, die selber in ähnlicher Not ist. Sie schneidet meinen halben Kasten gleich in Scheiben. Das passt. Im Café du Commerce entdeckt man des Pudels Kern. Das Städtchen war mal englisch besetzt und ist auch heute noch fest in englischer Hand.
Wenn man einen Café nimmt kriegt man auf Nachfrage eine Codenummer und kann sich in einen Hotspot einklinken und kostenfrei surfen. Bei meinem Moped ist unterdessen ein großer Auflauf. Eine Frau (von mir eigenäugig beobachtet) hat ihr Auto so hingestellt, dass es eine Toreinfahrt blockiert, in der ein Auto mit abfahrwilliger Fahrerin steht. Obwohl man das nicht verschlossene Auto hin und herschiebt, kommt nicht die notwendige Lücke zustande.
Schließlich treibt man den Fahrer des Vorderautos auf, der fährt weg und ich parke dann das Deliktwägelchen in den Blumen eines Gärtnerladens. Die Menschentraube zerstreut sich. Ich habe etwas für den Ruhm des Vaterlandes getan. Beim Wegfahren erscheint seelenruhig die Delinquentin, eine hübsch verpackte Vierzigerin, besteigt das Vehikel und braust davon. Niemand ist mehr da, der sich dafuer interessiert.
Dann Moissac. Bis 14 Uhr will ich bleiben, weil ich den Stempel im Credencial haben will. Es ist richtig warm geworden, ich packe an einer Parkbank mein Essen aus, als sich ein Mann um die vierzig vor mir aufbaut und sagt: Ich habe die Muschel auf Ihrem Rucksack gesehen! Es ist Svend aus Bergisch-Gladbach. Er ist in Le Puy aufgebrochen und hat trotz seiner guten Physis Schwierigkeiten mit einem Knie. Wir diskutieren, was man machen kann. Der Weg erzeugt Herausforderungen, die jeder auf seine Weise beantwortet. Auf jeden Fall so scheint mir hat die Körperorientierung gegenüber der spirituellen oder juristisch-sozialen heute einen höheren Stellenwert als früher. Es könnte aber auch sein, dass der Weg einer Art horizontalem Bergsteigen gleichkommt. Am Gipfel ankommen erzeugt auch eine fast mystische Verfas-sung. Die organisatorischen Vorzüge meiner Kombination von Fußwanderung und Motorrad-reise gefallen meinem Gesprächspartner, ebenso die Überlegungen zu Reisepartner-schaft und Einstellungsfragen. Ein anderes Thema ist dieses allein gehen und abends Leute treffen. Die Paare, die ich getroffen habe, gehen zwar zusammen, es gibt aber oft unterschiedliche Meinungen darüber, ob das gut ist. Wenn ich als Arbeitshypo-these unterscheiden möchte, dann ist Pilgern eine individuelle Weg-Gehe-Form, Wallfahren eine soziale Übung. Die Zweier-Form hat beides, aber nicht in optimaler Weise. Es gibt auch eine Entsprechung im Zen. Der Denkweg der Koans ähnelt dem Denken beim Pilgerwandern. Der einmal gewonnene Rhythmus lässt das Bewusstsein schon mal leer laufen! Die Befreiung vom bewussten Vorhandensein des Ich ist sehr wohltuend und erholsam.
Aber das sind Dinge, die wir nicht besprochen haben.
Svend bleibt im Gîte, um zwei bekomme ich meinen Stempel und reise in Richtung Lourdes ab, wo ich kurz vor sieben ankomme. Unweit von Grotte und Platz finde ich ein Hotel und bezahle für zwei Übernachtungen. Das Moped kann ich in einer ueberaus komischen Szene am Hotel abstellen, die Inhaberin selbst bestimmt die Abstaende zu Haus und anderen Autos auf den Millimeter, indem sie groteske Spruenge mit zusammen-gekniffenen Augen kombiniert (s. auch Anmerkungen zum Fruehstueck).
Nach dem Abendessen beginnt wie jeden Abend eine Lichterprozession, an der ich teilnehme: Als Mitglied der Gruppe des Bayrischen Pilgerbüros, auf die ich genau zugehe. Was ich da erlebe, muss ich noch verarbeiten. Ich trage, den Rosenkranz mitbetend und mitsingend, einer namenlos gütigen Vermittlerin meine Anliegen vor und hoffe, dass es neben dem Dienstweg noch andere effiziente Kanäle für solche Dinge gibt. Zwei Frauen aus Lengfeld bei Marktheidenfeld nehmen sich meiner an und erklären mir alles, was man wissen muss.
Edith ist zuhause, hört ein bisschen mit. Ich besuche die Grotte und bin um elf im Bett.
Abonnieren
Posts (Atom)