zwei - sieben
Es ist halb-zehn. In wenigen Minuten kann ich aufbrechen und ohne Aufenthalte nach Würzburg zurückfahren. Die Ersatzschlüssel sind da, fast alles funktioniert. Ja, wenn der Walter noch mit von der Partie wäre!? Dann ginge es jetzt nach Portugal und nach Gibraltar.
Aber wie können wir wissen, was das Richtige ist ...
Seid also weiterhin mit Euren guten Gedanken bei mir. Ihr habt mir alle sehr geholfen und beigestanden. Wenn ich etwas allererstes sagen kann, dann dieses: Ich war nie allein!
Und ich möchte mich von Fatima, der Hotelmanagerin der Villa de Sarria, verabschieden, die einige für mich fast unlösbare Probleme wie selbstverständlich und mit Präzision gelöst hat. Sie stammt aus Marokko, was vielleicht der Grund dafür ist, dass sie mit Fremdsprachen anders umgeht als die Spanier, über welches Thema ich mich hier lieber nicht auslassen will. Aber sie geht auch mit den Menschen anders um. Nichts von Bockigkeit und Ignoranz, die ich immer dann angetroffen habe, wenn Dummheit und Trägheit den Charakter diktiert haben. Sie hat nicht nur den Gästen Aufmerksamkeit geschenkt, sondern auch ihren Mitarbeitern. Sie ist sich nicht zu schade mit anzupacken oder zu bedienen, wenn diese nicht mehr mitkommen.
Donnerstag, 2. Juli 2009
Mittwoch, 1. Juli 2009
Von Santiago nach Sarria
eins - sieben
Um sieben bin ich in einer Seitenkirche in einer Messe fuer Kroaten. Es ist die einzige komplette Eucharistie, die ich auf der ganzen Reise mitgemacht habe. Ich verstehe kein einziges Wort und doch allen Sinn. Nun habe ich auf dem Compostella-Antrag angekreuzt, dass ich nicht nur aus religioesen Gruenden zum heiligen Jakob gepilgert bin. Und so haben auch diese Dinge ihre Richtigkeit.
In der Herberge haben die Jungs, die ohnehin erst um drei gekommen sind, immer noch geschlafen. Am Vorabend fanden sie die Konstruktion mit Motorrad und Fussetappen recht vale! Ich habe leise meine Sachen fertig gepackt und sitze um 11 im Bus nach Lugo.
Kurz vor zwei bin ich Sarria. Fatima weist eben einen neuen Mitarbeiter ein. Der junge Mann (mit erhöhtem Raumbedarf) steckt in einem schwarzen Anzug, spricht nur spanisch und riecht kräftig aus dem Munde. Fatima wird später sagen, dass Fremdsprachen lernen in Spanien keine Konjunktur hat und die Sache mit dem Mundgeruch nicht von ihr bearbeitet wird. Erneut erweist sie sich als grosse Hilfe. Ich habe offensichtlich meine Motorradschluessel verloren. Ich lasse deshalb von den Ersatzschluesseln gleich Kopien machen, bringe meine Sachen soweit in Ordnung und gehe mit Gérard Rivière, einem Astrophysiker aus Paris, zum Essen. Da kommen noch mal viele Aspekte zur Sprache, die mich ständig beschäftigen. Was ich hier schreibe ist zunächst eine Sammlung von Eindrücken, zur Teilhabe geeignet und zur Information. Aber dahinter steht ja auch der Auftrag, europäische und kulturelle Fragestellungen zu bearbeiten. Das ist der nächste Schritt. Dazu brauche ich die Erinnerungsstrukturen
aus dem Blog. Auch die Bilder werden noch eingefuegt.
Morgen Donnerstag, fahre ich über Bilbao zurück und hoffe, am Samstag zuhause zu sein.
Dann beginnt das gedankliche Aufräumen und Ordnen.
Um sieben bin ich in einer Seitenkirche in einer Messe fuer Kroaten. Es ist die einzige komplette Eucharistie, die ich auf der ganzen Reise mitgemacht habe. Ich verstehe kein einziges Wort und doch allen Sinn. Nun habe ich auf dem Compostella-Antrag angekreuzt, dass ich nicht nur aus religioesen Gruenden zum heiligen Jakob gepilgert bin. Und so haben auch diese Dinge ihre Richtigkeit.
In der Herberge haben die Jungs, die ohnehin erst um drei gekommen sind, immer noch geschlafen. Am Vorabend fanden sie die Konstruktion mit Motorrad und Fussetappen recht vale! Ich habe leise meine Sachen fertig gepackt und sitze um 11 im Bus nach Lugo.
Kurz vor zwei bin ich Sarria. Fatima weist eben einen neuen Mitarbeiter ein. Der junge Mann (mit erhöhtem Raumbedarf) steckt in einem schwarzen Anzug, spricht nur spanisch und riecht kräftig aus dem Munde. Fatima wird später sagen, dass Fremdsprachen lernen in Spanien keine Konjunktur hat und die Sache mit dem Mundgeruch nicht von ihr bearbeitet wird. Erneut erweist sie sich als grosse Hilfe. Ich habe offensichtlich meine Motorradschluessel verloren. Ich lasse deshalb von den Ersatzschluesseln gleich Kopien machen, bringe meine Sachen soweit in Ordnung und gehe mit Gérard Rivière, einem Astrophysiker aus Paris, zum Essen. Da kommen noch mal viele Aspekte zur Sprache, die mich ständig beschäftigen. Was ich hier schreibe ist zunächst eine Sammlung von Eindrücken, zur Teilhabe geeignet und zur Information. Aber dahinter steht ja auch der Auftrag, europäische und kulturelle Fragestellungen zu bearbeiten. Das ist der nächste Schritt. Dazu brauche ich die Erinnerungsstrukturen
aus dem Blog. Auch die Bilder werden noch eingefuegt.
Morgen Donnerstag, fahre ich über Bilbao zurück und hoffe, am Samstag zuhause zu sein.
Dann beginnt das gedankliche Aufräumen und Ordnen.
Von Arca Poudrouzo O Pino nach Santiago de Compostella
dreissig - sechs
Die morgendliche Berappelung hat reibungslos funktioniert und zumindest der Kaffee war vorbereitet. Zu meiner Verblueffung hat der Pensionschef an meinen Diabetes gedacht und die letzten Kekse vorm kuerzlichen Ableben seiner Mutter fuer mich aktiviert. Dann hat er mir vorgeschlagen, mich zwei Kilometer in den Weg hineinzufahren, was ich ... angenommen habe. 17 statt 19 KM, das fuehlt sich am Ende gut an.
Mit meinem persönlichen gesundheitlichen Problem wäre ich sehr wahrscheinlich in den Genuss des weit in die Neuzeit hinein hochwirksamen Netzes der Hospitäler gekommen. Deshalb eine Anmerkung hierzu. Nahezu alle Siedlungen entlang des Camino waren einst mit Hilfseinrichtungen ausgestattet. In Ribadiso z. B. gab es gleich mehrere Hospitäler. Darunter darf man sich kein modernes Krankenhaus vorstellen, sondern ganz schlichte Schutzräume für Bedürftige. Manche waren auch groß und mögen von staatstragender Bedeutung gewesen sein wie etwa Beaune oder die Spitäler in Würzburg. Dennoch ist die Effektivität auch der kleinsten Einheiten aufgrund der präzisen Passung bemerkenswert. Davon kann man sich rudimentär ein Bild machen, wenn die Pilger die Dienste eines Straßenfußpflegers in Anspruch nehmen. Man gibt etwas, muss aber keineswegs! Mit unseren verschiedenen Sicherungssystemen haben wir es schwer, uns eine Zeit vorzustellen, in der es dergleichen überhaupt nicht gab. Man kann die Zeit der Pest nicht mit der der Schweinegrippe vergleichen.
Hier und jetzt aber bin ich dann auch schnell am Flughafen und rieche damit schon an der grossen, so gar nicht mehr spirituellen Welt. Die Café Bars folgen dichter aufeinander, und so füllen sich die letzten Felder meines Credenzials.
Für mich war die letzte bemerkenswerte Station "meines" Weges der Monte do Gozo. Auf seiner Höhe steht eine kleine Ermita de San Marco. Inwendig könnte der Weg hier enden. Man geht aber doch zum großen Denkmal für Johannes Paul II. Dort muss Du einfach mit jemandem reden. Für mich ist es eine junge Radfahrerin aus Mainz. Im Gespräch mit ihr spüre ich, dass mit solchen Menschen Hoffnung besteht, den Problemen gewachsen zu sein. Anders als prophezeit ist der Weg durchaus angenehm, auch naturnah und nicht nur neben der Strasse. Dennoch: Sowie man an den Stadtrand gerät, ist aus mit Natur. Die Frage ist dann nur noch: Wann siehst Du die Kathedrale? Ich habe sie erst gesehen, als ich unmittelbar davor stand. Dann aber haut es einen fast um. So ein gewaltiger Baukomplex mit so vielen Fraktionen und Funktionen! Zuerst die Kathedrale selbst. Am Eingang wird allerdings gebasteltet, sodass die klassische Begruessung derzeit nicht moeglich ist. Aber man kann den Apostol umarmen und vor dem silbernen Schrein verharren. Auch eine kleine Zeit in der Pfarrkirche im linken Fluegel habe ich verbracht. Ueberall um die Kathedrale herum gibt es majestätische Architektur und tolle Musik: Ein Gitarrist spielt im Südosten eine meditativen Jazz, schwarz maskiert. Seine Musik klingt ueber den ganzen Platz. Dort auf der Treppe begegne ich zwei Männern aus Walldürn. Der jüngere hat in Wuerzburg Sonderschulpaedagogik studiert und ist jetzt mit einem älteren Freund per Fahrrad auf dem Weg in Santiago angekommen. Gerne wäre ich programmgemäss deutschen Pilgern begegnet. Aber entweder ist der Treff am Heiligen Tor ausgefallen oder wir haben was falsch gemacht. Aber auch so waren unsere Gespräche fruchtbar und haben uns einiges klar gemacht.
Zuvor allerdings habe ich alle sonstigen Dinge schnell in Ordnung bringen koennen: Unterkunft regeln, die Compostella bekommen, sich auf den Boden vor die Kathedrale legen, Fotos machen, einen Kaffee trinken, aufs Klo gehen ...
Die Altstadt um die Kathedrale herum ist das, was ich mir für dieses Mal gestatte. Der Platz ist so bedeutend, dass die Wiederholung des Besuchs unter anderen Zielen fast selbstverständlich ist.
Die morgendliche Berappelung hat reibungslos funktioniert und zumindest der Kaffee war vorbereitet. Zu meiner Verblueffung hat der Pensionschef an meinen Diabetes gedacht und die letzten Kekse vorm kuerzlichen Ableben seiner Mutter fuer mich aktiviert. Dann hat er mir vorgeschlagen, mich zwei Kilometer in den Weg hineinzufahren, was ich ... angenommen habe. 17 statt 19 KM, das fuehlt sich am Ende gut an.
Mit meinem persönlichen gesundheitlichen Problem wäre ich sehr wahrscheinlich in den Genuss des weit in die Neuzeit hinein hochwirksamen Netzes der Hospitäler gekommen. Deshalb eine Anmerkung hierzu. Nahezu alle Siedlungen entlang des Camino waren einst mit Hilfseinrichtungen ausgestattet. In Ribadiso z. B. gab es gleich mehrere Hospitäler. Darunter darf man sich kein modernes Krankenhaus vorstellen, sondern ganz schlichte Schutzräume für Bedürftige. Manche waren auch groß und mögen von staatstragender Bedeutung gewesen sein wie etwa Beaune oder die Spitäler in Würzburg. Dennoch ist die Effektivität auch der kleinsten Einheiten aufgrund der präzisen Passung bemerkenswert. Davon kann man sich rudimentär ein Bild machen, wenn die Pilger die Dienste eines Straßenfußpflegers in Anspruch nehmen. Man gibt etwas, muss aber keineswegs! Mit unseren verschiedenen Sicherungssystemen haben wir es schwer, uns eine Zeit vorzustellen, in der es dergleichen überhaupt nicht gab. Man kann die Zeit der Pest nicht mit der der Schweinegrippe vergleichen.
Hier und jetzt aber bin ich dann auch schnell am Flughafen und rieche damit schon an der grossen, so gar nicht mehr spirituellen Welt. Die Café Bars folgen dichter aufeinander, und so füllen sich die letzten Felder meines Credenzials.
Für mich war die letzte bemerkenswerte Station "meines" Weges der Monte do Gozo. Auf seiner Höhe steht eine kleine Ermita de San Marco. Inwendig könnte der Weg hier enden. Man geht aber doch zum großen Denkmal für Johannes Paul II. Dort muss Du einfach mit jemandem reden. Für mich ist es eine junge Radfahrerin aus Mainz. Im Gespräch mit ihr spüre ich, dass mit solchen Menschen Hoffnung besteht, den Problemen gewachsen zu sein. Anders als prophezeit ist der Weg durchaus angenehm, auch naturnah und nicht nur neben der Strasse. Dennoch: Sowie man an den Stadtrand gerät, ist aus mit Natur. Die Frage ist dann nur noch: Wann siehst Du die Kathedrale? Ich habe sie erst gesehen, als ich unmittelbar davor stand. Dann aber haut es einen fast um. So ein gewaltiger Baukomplex mit so vielen Fraktionen und Funktionen! Zuerst die Kathedrale selbst. Am Eingang wird allerdings gebasteltet, sodass die klassische Begruessung derzeit nicht moeglich ist. Aber man kann den Apostol umarmen und vor dem silbernen Schrein verharren. Auch eine kleine Zeit in der Pfarrkirche im linken Fluegel habe ich verbracht. Ueberall um die Kathedrale herum gibt es majestätische Architektur und tolle Musik: Ein Gitarrist spielt im Südosten eine meditativen Jazz, schwarz maskiert. Seine Musik klingt ueber den ganzen Platz. Dort auf der Treppe begegne ich zwei Männern aus Walldürn. Der jüngere hat in Wuerzburg Sonderschulpaedagogik studiert und ist jetzt mit einem älteren Freund per Fahrrad auf dem Weg in Santiago angekommen. Gerne wäre ich programmgemäss deutschen Pilgern begegnet. Aber entweder ist der Treff am Heiligen Tor ausgefallen oder wir haben was falsch gemacht. Aber auch so waren unsere Gespräche fruchtbar und haben uns einiges klar gemacht.
Zuvor allerdings habe ich alle sonstigen Dinge schnell in Ordnung bringen koennen: Unterkunft regeln, die Compostella bekommen, sich auf den Boden vor die Kathedrale legen, Fotos machen, einen Kaffee trinken, aufs Klo gehen ...
Die Altstadt um die Kathedrale herum ist das, was ich mir für dieses Mal gestatte. Der Platz ist so bedeutend, dass die Wiederholung des Besuchs unter anderen Zielen fast selbstverständlich ist.
Montag, 29. Juni 2009
Von Arzua (Rendal) nach Arca
neunundzwanzig - sechs
Es herrschen galizische Verhaeltnisse: Der Himmel haengt voll schwerer Wolken, es koennte auch jederzeit regnen, aber durch irgendein Loch findet die Sonne einen Weg und taucht alles in ein daemmrig-schoenes Licht. Der einzige Fussweg, den man nach draussen gehen moechte ist der zum Zapfhahn einer Bar.
Ihr ratet richtig! Ich bin am vorletzten Etappenort, in Arca angekommen. Der Ort heisst politisch O Pino oder frueher noch Pedrouzo. Hier ist Feiertag und ruhiger als gestern. Dennoch sehe ich Leute, die schwarz am Neubau arbeiten und Fliessen verlegen. Einkaufen geht nicht, kein Kaese, kein Wein!
Am Morgen gibt es keinen Gottesdienst in der kleinen Kirche San Verísimo de Ferreiros. Drum herum ist Friedhof, mehrstoeckig und, viel aelter, Grab an Grab flach im Boden. Ein schoener Platz zum Feiern nebenan. Mit einem Hochkreuz aus dem 17. Jh. (Der Mutter Gottes, Ruecken an Ruecken mit dem Gekreuzigten, hat der Bildhauer ein riesiges Schwert ins Herz gerammt), einer Tribuene und einem dramatisch platzierten Brunnen. Feste fuer Leben und Tod, alles geordnet beieinander.
Ein Mann um die 60 ueberholt mich. Er schiebt einen 6-raedrigen HighTech-Karren vor sich her und rennt nach Salzmann- oder Brieftraeger-Art mit grossen Schritten. Hier geht das. Der oesterreichische Dieter hat den seinen geschleppt. Wenig spaeter macht er Pause. Ich kann sehen, dass er noch einen Rucksack traegt, was mir vor lauter Verblueffung nicht aufgefallen war. Er ist Schweizer. Haette ich mir denken choennen. Er kann das nicht anders. Er braucht viel Zeug, vieles, was niemand braucht. Der Gedanke, etwas zu brauchen und nicht dabei zu haben, ist ihm nicht ertraeglich. Angst, dass ihm etwas geschdoolen wird, hat er nicht. Der Alu-Karren faellt auf und bis sich jemand darin orientiert hat, ist er entdeckt. Ausserdem muss man das Ding auch beherrschen. In Frankreich waere er damit grandios gescheitert. Hier sind die Wege ja fast luxuriös breit. Das ist auch nötig, denn der Strom der Pilger ist angeschwollen. Ich werde ständig überholt, aber ich überhole auch selbst(!). Meist Leute, die nur noch kriechen können. Ein Paar um die 40 aus Wales geht ganz langsam, er ein zwei-Meter-Mann mit einem schmerzenden Fussgelenk. Ich habe Gelegenheit zu fragen, ob ich helfen kann, als er am Wegrand sitzt und sich den rechten Schuh ausgezogen hat. Während ich sein Gelenk mit Aloe-Vera-Gel sanft einreibe, und die Schwellung verblüffend schnell zurückgeht, erfahre ich, dass sie sich scheiden lassen wollen und diese Reise der letzte Versuch sei, etwas gemeinsam zu unternehmen. Ich gebe ihm noch eine Schmerztablette, die er gehorsam schluckt. Sie sagt mir zum Schluss in gutem Deutsch, nichts gehe ihm schnell genug. Alles ist besser, wenn man dabei überlegt, welches die richtige Geschwindigkeit sei. Alles ist offen.
Vielleicht gibt man in der Übung des Gehens und des Pilgerns dem Körper ein gut Teil seiner animalischen Intelligenz zurück. Der zivilisierte Stadtmensch tut alles, um Stolperkanten aller Art zu beseitigen. Modebewusste Frauen kritisieren eine neue Bepflasterung, wenn sie nicht stöckelschuhbewusst ausgeführt ist. An die Eisenbeschläge erinnert sich kaum jemand mehr. Die Vielgestaltigkeit der Wanderstrecken trainiert den Bewegungsmechanismus auf Variabilität hin. Kurz: Man hebt den Fuß etwas höher! Das bedeutet Befreiung für den denkenden Kopf, dessen Augen jetzt freier und in anderem Winkel in die Welt schauen kann.
"De nuevo" kann man sagen, wenn man sich nicht staendig buen camino sagen will, das heisst dann soviel wie "gilt immer noch!" Bei Ras im Wirtshaus kommt eine Frau herein. Sie bittet um die Speisekarte und liest lange an der Theke stehend darin. Dann bestellt sie eine Portion Pommes Frites und Wasser. Der Barmann fragt, ob sie Brot dazu haben will. Sie bejaht. Meinen Kulturschock hat sie offenbar bemerkt. Als sie mich spaeter zum wievielten Male ueberholt, erklaert sie in mir gut verstaendlichem Spanisch, dass die Fritten am Weg wirklich zuverlaessig gut seien. Das ganze Zeug mit Tintenfisch und Innereien ist nur was fuer Spezialisten. Ausserdem bringt das Denken an die Variationen des Essens den Fluss der Fantasie durcheinander. Ich stelle fest, dass ich, ausser wenn der Magen vernehmbar knurrt, seit Wochen ueberhaupt nicht ans Essen denke. Tatsaechlich habe ich unterwegs viele Romane entworfen und meine Beobachtungen in Geschichten eingebaut. Wenn ich das nicht mache, vergesse ich alles wieder ziemlich schnell.
In dieser Pension gibt es heute nichts mehr zu essen. Ich werde noch mal einen naechtlichen Marsch ins Staedtchen machen.
Es herrschen galizische Verhaeltnisse: Der Himmel haengt voll schwerer Wolken, es koennte auch jederzeit regnen, aber durch irgendein Loch findet die Sonne einen Weg und taucht alles in ein daemmrig-schoenes Licht. Der einzige Fussweg, den man nach draussen gehen moechte ist der zum Zapfhahn einer Bar.
Ihr ratet richtig! Ich bin am vorletzten Etappenort, in Arca angekommen. Der Ort heisst politisch O Pino oder frueher noch Pedrouzo. Hier ist Feiertag und ruhiger als gestern. Dennoch sehe ich Leute, die schwarz am Neubau arbeiten und Fliessen verlegen. Einkaufen geht nicht, kein Kaese, kein Wein!
Am Morgen gibt es keinen Gottesdienst in der kleinen Kirche San Verísimo de Ferreiros. Drum herum ist Friedhof, mehrstoeckig und, viel aelter, Grab an Grab flach im Boden. Ein schoener Platz zum Feiern nebenan. Mit einem Hochkreuz aus dem 17. Jh. (Der Mutter Gottes, Ruecken an Ruecken mit dem Gekreuzigten, hat der Bildhauer ein riesiges Schwert ins Herz gerammt), einer Tribuene und einem dramatisch platzierten Brunnen. Feste fuer Leben und Tod, alles geordnet beieinander.
Ein Mann um die 60 ueberholt mich. Er schiebt einen 6-raedrigen HighTech-Karren vor sich her und rennt nach Salzmann- oder Brieftraeger-Art mit grossen Schritten. Hier geht das. Der oesterreichische Dieter hat den seinen geschleppt. Wenig spaeter macht er Pause. Ich kann sehen, dass er noch einen Rucksack traegt, was mir vor lauter Verblueffung nicht aufgefallen war. Er ist Schweizer. Haette ich mir denken choennen. Er kann das nicht anders. Er braucht viel Zeug, vieles, was niemand braucht. Der Gedanke, etwas zu brauchen und nicht dabei zu haben, ist ihm nicht ertraeglich. Angst, dass ihm etwas geschdoolen wird, hat er nicht. Der Alu-Karren faellt auf und bis sich jemand darin orientiert hat, ist er entdeckt. Ausserdem muss man das Ding auch beherrschen. In Frankreich waere er damit grandios gescheitert. Hier sind die Wege ja fast luxuriös breit. Das ist auch nötig, denn der Strom der Pilger ist angeschwollen. Ich werde ständig überholt, aber ich überhole auch selbst(!). Meist Leute, die nur noch kriechen können. Ein Paar um die 40 aus Wales geht ganz langsam, er ein zwei-Meter-Mann mit einem schmerzenden Fussgelenk. Ich habe Gelegenheit zu fragen, ob ich helfen kann, als er am Wegrand sitzt und sich den rechten Schuh ausgezogen hat. Während ich sein Gelenk mit Aloe-Vera-Gel sanft einreibe, und die Schwellung verblüffend schnell zurückgeht, erfahre ich, dass sie sich scheiden lassen wollen und diese Reise der letzte Versuch sei, etwas gemeinsam zu unternehmen. Ich gebe ihm noch eine Schmerztablette, die er gehorsam schluckt. Sie sagt mir zum Schluss in gutem Deutsch, nichts gehe ihm schnell genug. Alles ist besser, wenn man dabei überlegt, welches die richtige Geschwindigkeit sei. Alles ist offen.
Vielleicht gibt man in der Übung des Gehens und des Pilgerns dem Körper ein gut Teil seiner animalischen Intelligenz zurück. Der zivilisierte Stadtmensch tut alles, um Stolperkanten aller Art zu beseitigen. Modebewusste Frauen kritisieren eine neue Bepflasterung, wenn sie nicht stöckelschuhbewusst ausgeführt ist. An die Eisenbeschläge erinnert sich kaum jemand mehr. Die Vielgestaltigkeit der Wanderstrecken trainiert den Bewegungsmechanismus auf Variabilität hin. Kurz: Man hebt den Fuß etwas höher! Das bedeutet Befreiung für den denkenden Kopf, dessen Augen jetzt freier und in anderem Winkel in die Welt schauen kann.
"De nuevo" kann man sagen, wenn man sich nicht staendig buen camino sagen will, das heisst dann soviel wie "gilt immer noch!" Bei Ras im Wirtshaus kommt eine Frau herein. Sie bittet um die Speisekarte und liest lange an der Theke stehend darin. Dann bestellt sie eine Portion Pommes Frites und Wasser. Der Barmann fragt, ob sie Brot dazu haben will. Sie bejaht. Meinen Kulturschock hat sie offenbar bemerkt. Als sie mich spaeter zum wievielten Male ueberholt, erklaert sie in mir gut verstaendlichem Spanisch, dass die Fritten am Weg wirklich zuverlaessig gut seien. Das ganze Zeug mit Tintenfisch und Innereien ist nur was fuer Spezialisten. Ausserdem bringt das Denken an die Variationen des Essens den Fluss der Fantasie durcheinander. Ich stelle fest, dass ich, ausser wenn der Magen vernehmbar knurrt, seit Wochen ueberhaupt nicht ans Essen denke. Tatsaechlich habe ich unterwegs viele Romane entworfen und meine Beobachtungen in Geschichten eingebaut. Wenn ich das nicht mache, vergesse ich alles wieder ziemlich schnell.
In dieser Pension gibt es heute nichts mehr zu essen. Ich werde noch mal einen naechtlichen Marsch ins Staedtchen machen.
Von Palas de Rei nach Arzua (Ribadiso/Rendal)
achtundzwanzig - sechs
Meinen Reiseführer habe ich wegen des Gewichts nicht mitgenommen. Deshalb weiß ich jetzt erst, dass das ganze Kirchspiel von Palas de Rei mit romanischen Kirchen voll gestellt ist. Wegen des sehr durchwachsenen Himmels gehe ich wie alle anderen einfach vor mich hin, ohne an Sehenswürdigkeiten zu denken. In allen Fällen hätte ich etwas Umweg in Kauf nehmen müssen: Zum Castillo de Pambre oder dem von Felpos, einer Räuberfeste.
Das Hochkreuz bei Leboreiro steht zwar ganz allein, aber so aufdringlich am Weg, dass man einfach anhält. Solche Kreuze finden sich überall und sehen auf den ersten Blick alle gleich aus. Das muss früher ganz anders gewesen sein. Da war es einfach wichtiger, die Unterschiede schnell zu identifizieren, der Blick und Zutritt zu den Details gelang weitaus erfolgreicher als uns heutigen. An der Calzada empedrada de Leboreiro bleiben die Pilger stehen und fotografieren; während meiner eigenen Pause bleiben einige stehen und schlagen ein Kreuz, gehen weiter. So haben wir das als Kinder auch gemacht.
Der Mann aus Saumur und Arthur.
Schon seit dem Ortsausgang von Palas sind die beiden mal vor, mal hinter mir. Arthur ist ein schwarzer Esel, der ungemein intelligent und hälinge aus den Augen guckt. Ich bin davon überzeugt, dass er seinen Herrn und Meister ein ums andere Mal über den Tisch zieht. Im Gespräch mit ihm fällt mir auf, dass viele auf dem Weg zwar nach Santiago wollen, aber .... nicht dieses Mal, mal sehen obs dies Mal reicht, wenn der Urlaub reicht, wenn die Familie nicht Hilfe ruft, wenns Geld reicht ... Im möglichen Gegensatz zu anderen Zeiten sind die Motivationsqualitäten heute breiter angelegt. Die juristische oder auch die soziale Dimension sind dagegen nicht mehr aktuell.
Die Hochzeitsreise
Das Paar hat sich vor drei Jahren auf dem Camino kennengelernt, jetzt sind sie verheiratet und das erste Kind kommt im November, reist also schon aktiv mit. Beide haben deutsch-österreichisch-französische Eltern und sind in beiden Kulturräumen gut zuhause. Nachdem sie nach Leboreiro langsam auf mich aufgelaufen waren und nach den ersten Kontaktversuchen einigen wir uns auf deutsch. Der Weg ist für diese jungen Europäer zuerst ein persönlicher Schicksalsweg im umfassenden Sinne. An seiner langen Leine können sie viele wichtige Ereignisse aufhängen. Sie wirken sehr relaxt und glücklich. Ich will in Melide eine Pause machen, sie wollen bis Arzua kommen. Es beginnt zu regnen.
Die Philosophin
Kann man auf dem Weg Effekten der Globalisierung begegnen, technisch und wirtschaftlich? In der kleinsten eben noch bewohnbaren Hütte gibt es Satellitenfernsehen und Mobiltelefon. Ich habe den Eindruck, dass eine gute Bar nur in einer möglichst zusammenbrechenden Halbruine Erfolg haben kann. Hinter der Theke stehen alle trinkbaren Genüsse dieser Welt und noch ein paar unbekannte dazu. Das ist Camino-Design. Anders liegen die Dinge auf der kulturellen Plattform. Meine Gesprächspartnerin zwischen Boente und Ribadiso ist eine französische Philosophie-dozentin, die bis dato in Kanada unter Vertrag stand, jetzt aber nach Frankreich zurückkehren will. Dabei wirkt sich die kontinentale Praxis aus, entgegen den erklärten Absichten doch vor allem Lehrer mit Aggregation an die Hochschulen zu holen. Alle wissen, dass die Ausschließlichkeit dieser Praxis unangemessen ist, aber im Wettbewerb doch zum Tragen kommt. Soll sie also die Aggregation noch dran hängen oder ... Der alte Mann in mir sagt: Nein, es gibt noch andere schöne Dinge im Leben. Der jüngere Mann sagt: Ja! Es ist ein Gebot der Vernunft. Dann, wenn du dich nicht korrumpieren lässt, was schwer genug ist, kannst du von dieser Warte aus die Entwicklung weitertreiben. (In Santiago werden wir uns noch mal über den Weg laufen.)
Im Hotel von Palas de rei haben wir vereinbart, dass ich in Ribadiso nach Anruf abgeholt werden würde. Völlig durchnässt, sodass mir das Kondenswasser aus den Ärmeln läuft, lange ich in Rendal an. Ich beziehe mein Zimmer und bekomme ein Privatabendessen vom Feinsten. Mit einem ordentlichen Roten vom Duero, der mich in den Schlaf wuggelt.
Meinen Reiseführer habe ich wegen des Gewichts nicht mitgenommen. Deshalb weiß ich jetzt erst, dass das ganze Kirchspiel von Palas de Rei mit romanischen Kirchen voll gestellt ist. Wegen des sehr durchwachsenen Himmels gehe ich wie alle anderen einfach vor mich hin, ohne an Sehenswürdigkeiten zu denken. In allen Fällen hätte ich etwas Umweg in Kauf nehmen müssen: Zum Castillo de Pambre oder dem von Felpos, einer Räuberfeste.
Das Hochkreuz bei Leboreiro steht zwar ganz allein, aber so aufdringlich am Weg, dass man einfach anhält. Solche Kreuze finden sich überall und sehen auf den ersten Blick alle gleich aus. Das muss früher ganz anders gewesen sein. Da war es einfach wichtiger, die Unterschiede schnell zu identifizieren, der Blick und Zutritt zu den Details gelang weitaus erfolgreicher als uns heutigen. An der Calzada empedrada de Leboreiro bleiben die Pilger stehen und fotografieren; während meiner eigenen Pause bleiben einige stehen und schlagen ein Kreuz, gehen weiter. So haben wir das als Kinder auch gemacht.
Der Mann aus Saumur und Arthur.
Schon seit dem Ortsausgang von Palas sind die beiden mal vor, mal hinter mir. Arthur ist ein schwarzer Esel, der ungemein intelligent und hälinge aus den Augen guckt. Ich bin davon überzeugt, dass er seinen Herrn und Meister ein ums andere Mal über den Tisch zieht. Im Gespräch mit ihm fällt mir auf, dass viele auf dem Weg zwar nach Santiago wollen, aber .... nicht dieses Mal, mal sehen obs dies Mal reicht, wenn der Urlaub reicht, wenn die Familie nicht Hilfe ruft, wenns Geld reicht ... Im möglichen Gegensatz zu anderen Zeiten sind die Motivationsqualitäten heute breiter angelegt. Die juristische oder auch die soziale Dimension sind dagegen nicht mehr aktuell.
Die Hochzeitsreise
Das Paar hat sich vor drei Jahren auf dem Camino kennengelernt, jetzt sind sie verheiratet und das erste Kind kommt im November, reist also schon aktiv mit. Beide haben deutsch-österreichisch-französische Eltern und sind in beiden Kulturräumen gut zuhause. Nachdem sie nach Leboreiro langsam auf mich aufgelaufen waren und nach den ersten Kontaktversuchen einigen wir uns auf deutsch. Der Weg ist für diese jungen Europäer zuerst ein persönlicher Schicksalsweg im umfassenden Sinne. An seiner langen Leine können sie viele wichtige Ereignisse aufhängen. Sie wirken sehr relaxt und glücklich. Ich will in Melide eine Pause machen, sie wollen bis Arzua kommen. Es beginnt zu regnen.
Die Philosophin
Kann man auf dem Weg Effekten der Globalisierung begegnen, technisch und wirtschaftlich? In der kleinsten eben noch bewohnbaren Hütte gibt es Satellitenfernsehen und Mobiltelefon. Ich habe den Eindruck, dass eine gute Bar nur in einer möglichst zusammenbrechenden Halbruine Erfolg haben kann. Hinter der Theke stehen alle trinkbaren Genüsse dieser Welt und noch ein paar unbekannte dazu. Das ist Camino-Design. Anders liegen die Dinge auf der kulturellen Plattform. Meine Gesprächspartnerin zwischen Boente und Ribadiso ist eine französische Philosophie-dozentin, die bis dato in Kanada unter Vertrag stand, jetzt aber nach Frankreich zurückkehren will. Dabei wirkt sich die kontinentale Praxis aus, entgegen den erklärten Absichten doch vor allem Lehrer mit Aggregation an die Hochschulen zu holen. Alle wissen, dass die Ausschließlichkeit dieser Praxis unangemessen ist, aber im Wettbewerb doch zum Tragen kommt. Soll sie also die Aggregation noch dran hängen oder ... Der alte Mann in mir sagt: Nein, es gibt noch andere schöne Dinge im Leben. Der jüngere Mann sagt: Ja! Es ist ein Gebot der Vernunft. Dann, wenn du dich nicht korrumpieren lässt, was schwer genug ist, kannst du von dieser Warte aus die Entwicklung weitertreiben. (In Santiago werden wir uns noch mal über den Weg laufen.)
Im Hotel von Palas de rei haben wir vereinbart, dass ich in Ribadiso nach Anruf abgeholt werden würde. Völlig durchnässt, sodass mir das Kondenswasser aus den Ärmeln läuft, lange ich in Rendal an. Ich beziehe mein Zimmer und bekomme ein Privatabendessen vom Feinsten. Mit einem ordentlichen Roten vom Duero, der mich in den Schlaf wuggelt.
Von Portomarin nach Palas de Rei
siebenundzwanzig - sechs
Blauer Himmel und angenehm kuehl. Mein Blick geht ueber den See und wenn ich mich nicht schon wieder ueber das unwuerdige Fruehstueck aufregen muesste ...
Ich starte kurz nach neun und bin fast ohne Schwitzen schnell in Toxibo. Nach einem kurzen Stueck der Strasse entlang sehe ich eher zufaellig mal zurueck. Ihr Lieben, so etwas habt Ihr noch nicht gesehen. Man meint, ein Dorf verlaesst komplett den Platz. Ich habe bei 100 aufgehoert zu zaehlen, darunter viele Radfahrer, die schnell auf einen zufahren und dann wieder weg sind. Portomarin liegt etwa 5 Kilometer zurueck. Offenbar treiben die Erfahrungswerte und Empfehlungen der Reisefuehrer die Pilger alle zur gleichen Zeit aus den Betten. Zwei Gruppen mit Eseln, ein Einzelwanderer mit Esel.
Ein Rollstuhlfahrer mit Begleitung, eine Behindertengruppe einbeinig mit Stoecken. Ich habe kein einziges Foto gemacht, weil mir das alles indiskret vorkommt. Aber ich habe mich auf eine Steinbank gesetzt und habe die komplette Voelkerwanderung an mir vorbeiziehen lassen.
Stunden spaeter kommt mir, laut und ununterbrochen in ein Handy bruellend, ein Blinder entgegen. Vielleicht hat er eine Kamera am Kopf, denn er hat es offenbar eilig, auch aus dem Handy kommy Gebruell. Sein langer Stock beruehrt kaum den Weg. Es ist unwirklich. Ich hoere ihn noch nach hundert Metern.
Dazu kommt, dass der Weg wirklich wunderschoen ist. Weit abseits von den Autos verteilt sich das Getoese auf die Weite der Landschaft.
Um vier bin ich zum eigenen und dem Erstaunen der Hotelliere in Palas de Rei. Die wollen naemlich immer wissen, bis wann man ankommt. Wozu auch immer!
Ich richte mich ein und kaufe mir endlich eine Wasserflasche.
Blauer Himmel und angenehm kuehl. Mein Blick geht ueber den See und wenn ich mich nicht schon wieder ueber das unwuerdige Fruehstueck aufregen muesste ...
Ich starte kurz nach neun und bin fast ohne Schwitzen schnell in Toxibo. Nach einem kurzen Stueck der Strasse entlang sehe ich eher zufaellig mal zurueck. Ihr Lieben, so etwas habt Ihr noch nicht gesehen. Man meint, ein Dorf verlaesst komplett den Platz. Ich habe bei 100 aufgehoert zu zaehlen, darunter viele Radfahrer, die schnell auf einen zufahren und dann wieder weg sind. Portomarin liegt etwa 5 Kilometer zurueck. Offenbar treiben die Erfahrungswerte und Empfehlungen der Reisefuehrer die Pilger alle zur gleichen Zeit aus den Betten. Zwei Gruppen mit Eseln, ein Einzelwanderer mit Esel.
Ein Rollstuhlfahrer mit Begleitung, eine Behindertengruppe einbeinig mit Stoecken. Ich habe kein einziges Foto gemacht, weil mir das alles indiskret vorkommt. Aber ich habe mich auf eine Steinbank gesetzt und habe die komplette Voelkerwanderung an mir vorbeiziehen lassen.
Stunden spaeter kommt mir, laut und ununterbrochen in ein Handy bruellend, ein Blinder entgegen. Vielleicht hat er eine Kamera am Kopf, denn er hat es offenbar eilig, auch aus dem Handy kommy Gebruell. Sein langer Stock beruehrt kaum den Weg. Es ist unwirklich. Ich hoere ihn noch nach hundert Metern.
Dazu kommt, dass der Weg wirklich wunderschoen ist. Weit abseits von den Autos verteilt sich das Getoese auf die Weite der Landschaft.
Um vier bin ich zum eigenen und dem Erstaunen der Hotelliere in Palas de Rei. Die wollen naemlich immer wissen, bis wann man ankommt. Wozu auch immer!
Ich richte mich ein und kaufe mir endlich eine Wasserflasche.
Von Sarria nach Portomarin
sechsundzwanzig - sechs
Wenn die angebotenen Internetstationen funktionieren wuerden, die Passwoerter bekannt waeren oder gar jemand den Schluessel fuer den Schrank haette, ja dann haette ich mich nicht so (voreilig) verabschieden muessen. Nur einmal gibt es kein Internet und selbst dann haette jemand aktiviert werden koennen.
Aber der Reihe nach. Sarria ist noch ganz ruhig, vielleicht erschoepft vom Feiern. Ich muss das Moped nach mal umstellen und das Gepaeck endgueltig versorgen. Fatima hat fuer alles Loesungen. Schliesslich sucht sie noch die Abfahrtszeiten fuer die Rueckreise heraus. Ich ernenne sie zum Erzengel meiner Reise.
Der lange, mehrfach nur kurz unterbrochene Anstieg ueber Burg und Kloster treibt mir den Cafè con leche aus allen Poren heraus. Ich muss den Unsinn mit dem vielen Fruehstueckstrinken lassen. Ich sehe mich eher als Versuchsmaschine eines staub-bindenden Strassenbetraeuflers denn als serioeser Pilger. Von denen sind jetzt viele tuechtige und leichtfuessige Exemplare unterwegs. Ach wie gut, dass keiner weiss ... Ich werde mit ernsten Augen angeguckt und man sagt zu mir Buen Camino! Spaeter, das verrate ich jetzt schon, kommt oft noch ein Lachen in den Winkeln dazu. Gleich im ersten Tal gehen vor mir zwei alte Leute, die zusammen ein Kreuz tragen. Beim Naeherkommen erweist sich aber, dass er eine Leiter, sie Leseholz traegt. Es sind einfache Bauern, die nur eben mal ein Stueck Camino gehen. Was werde ich noch alles sehen, was sich dann ...
Fast auf der Hoehe angekommen, ueberholen mich schnaufend zwei juengere Leute auf Klappraedern. Hintendrauf, wie Klammeraffen die Kinder. Drei Tage lang sind die vier staendig in meiner Naehe, weil sie lange Pausen in den Restaurants machen. Der Junge kraeht mit groesstem Vergnuegen immer wieder buen camino. Bei dritten oder vierten Mal erfahre ich, dass die Fahrt die Durchfuehrung eines Geburtstagswunsches ist. Ich habe nicht herausbekommen, wer der Wuenschende ist. Nebenan liegt eine kleine umfriedete Kirche. Romanisch natuerlich. Der sehr alte Pfarrer kommt mir kurz vor dem Tor entgegen. Er geht zurueck, oeffnet seine Kirche, setzt sich auf seinen Stuhl und beginnt einen Vortrag. Sein einst wundervoller Sermón wird leider durch die verunglueckten Bemuehungen seines Zahnarztes zu einem Gebrummel deformiert, was auch ihm selbst auffaellt. Von dem Ganzen verstehe ich immerhin, dass die Aufmerksamkeit vor allem dem praeromanischen Tuersturz auf der Innenseite des Portals zu gelten hat.
Auch bei der romanischen Kapelle von Santa Maria de Velante = die meisten Leute rennen an den Kirchen vorbei, dabei ist eine schoener als die andere, leider meist geschlossen = gibt es eine Bar. Hinter der Theke eine schwarze Barfrau mit einer schier unglaublichen Ausstrahlung. Vor der Bar eine junge Frau, die mich auf franzoesisch fragt, ob ich die Stempel haben will. Ich will und wie, nur damit ich noch einige Male in das lachende Gesicht der Barfrau gucken kann.
Es gibt einen fuer die Etappe und einen fuer die Kirche. Also: Man rennt ja nicht in jede Bar am Wege, aber wer diese schwarze Frau sieht, stellt sich ein Paar Fragen ..
Wenig danach ueberholt mich ein junger Mann, ein Cellist, Kammermusiker aus Wien.
Wir kommen ueber das Obertonsingen und das Cello auf das Welttheater im Allgemeinen und Fragen zum Musikereinkommen im Besonderen. Das Wandern geht schneller und leichter, so kommt es mir vor. Wir nehmen einen Kaffee. er wird freundlich von anderen begruesst, die meinen, er solle doch gleich hier bleiben, Portomarin sei ein Loch, gegen das hier. Das Komma ist von Bedeutung.
Wir gehen noch ein Stueck, dann muss er beschleunigen. Was hat ihn auf den Weg gebracht. Einmal ein lang gehegter Wunsch, dann guenstige Bedingungen, ein Produktionsloch gewissermassen. Die materiellen Mittel und eine gewisse Freiheit der Entscheidung gehoeren auch dazu.
Portomarin ist ein ganz neuere Ort. Das Anstauen eines Wasserreservoirs hat die Verlegung eines ganzen Dorf bewirkt. Die romanische Burgkirche wurde ab= und an anderer Stelle wieder aufgebaut. Drumherum Platz fuer Arkaden und stabile Haeuser.
Dahinter alles Notwendige, Bars, Polizei, Herbergen etc. Wegen eines Missverstaendnisses bekomme ich einen Liter frischen Orangensaft zubereitet. 10 Euro muss ich dafuer bezahlen. Aber geschmeckt hats maerchenhaft.
Auch ein Weg von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt. (Japanische Weisheit)
Wenn die angebotenen Internetstationen funktionieren wuerden, die Passwoerter bekannt waeren oder gar jemand den Schluessel fuer den Schrank haette, ja dann haette ich mich nicht so (voreilig) verabschieden muessen. Nur einmal gibt es kein Internet und selbst dann haette jemand aktiviert werden koennen.
Aber der Reihe nach. Sarria ist noch ganz ruhig, vielleicht erschoepft vom Feiern. Ich muss das Moped nach mal umstellen und das Gepaeck endgueltig versorgen. Fatima hat fuer alles Loesungen. Schliesslich sucht sie noch die Abfahrtszeiten fuer die Rueckreise heraus. Ich ernenne sie zum Erzengel meiner Reise.
Der lange, mehrfach nur kurz unterbrochene Anstieg ueber Burg und Kloster treibt mir den Cafè con leche aus allen Poren heraus. Ich muss den Unsinn mit dem vielen Fruehstueckstrinken lassen. Ich sehe mich eher als Versuchsmaschine eines staub-bindenden Strassenbetraeuflers denn als serioeser Pilger. Von denen sind jetzt viele tuechtige und leichtfuessige Exemplare unterwegs. Ach wie gut, dass keiner weiss ... Ich werde mit ernsten Augen angeguckt und man sagt zu mir Buen Camino! Spaeter, das verrate ich jetzt schon, kommt oft noch ein Lachen in den Winkeln dazu. Gleich im ersten Tal gehen vor mir zwei alte Leute, die zusammen ein Kreuz tragen. Beim Naeherkommen erweist sich aber, dass er eine Leiter, sie Leseholz traegt. Es sind einfache Bauern, die nur eben mal ein Stueck Camino gehen. Was werde ich noch alles sehen, was sich dann ...
Fast auf der Hoehe angekommen, ueberholen mich schnaufend zwei juengere Leute auf Klappraedern. Hintendrauf, wie Klammeraffen die Kinder. Drei Tage lang sind die vier staendig in meiner Naehe, weil sie lange Pausen in den Restaurants machen. Der Junge kraeht mit groesstem Vergnuegen immer wieder buen camino. Bei dritten oder vierten Mal erfahre ich, dass die Fahrt die Durchfuehrung eines Geburtstagswunsches ist. Ich habe nicht herausbekommen, wer der Wuenschende ist. Nebenan liegt eine kleine umfriedete Kirche. Romanisch natuerlich. Der sehr alte Pfarrer kommt mir kurz vor dem Tor entgegen. Er geht zurueck, oeffnet seine Kirche, setzt sich auf seinen Stuhl und beginnt einen Vortrag. Sein einst wundervoller Sermón wird leider durch die verunglueckten Bemuehungen seines Zahnarztes zu einem Gebrummel deformiert, was auch ihm selbst auffaellt. Von dem Ganzen verstehe ich immerhin, dass die Aufmerksamkeit vor allem dem praeromanischen Tuersturz auf der Innenseite des Portals zu gelten hat.
Auch bei der romanischen Kapelle von Santa Maria de Velante = die meisten Leute rennen an den Kirchen vorbei, dabei ist eine schoener als die andere, leider meist geschlossen = gibt es eine Bar. Hinter der Theke eine schwarze Barfrau mit einer schier unglaublichen Ausstrahlung. Vor der Bar eine junge Frau, die mich auf franzoesisch fragt, ob ich die Stempel haben will. Ich will und wie, nur damit ich noch einige Male in das lachende Gesicht der Barfrau gucken kann.
Es gibt einen fuer die Etappe und einen fuer die Kirche. Also: Man rennt ja nicht in jede Bar am Wege, aber wer diese schwarze Frau sieht, stellt sich ein Paar Fragen ..
Wenig danach ueberholt mich ein junger Mann, ein Cellist, Kammermusiker aus Wien.
Wir kommen ueber das Obertonsingen und das Cello auf das Welttheater im Allgemeinen und Fragen zum Musikereinkommen im Besonderen. Das Wandern geht schneller und leichter, so kommt es mir vor. Wir nehmen einen Kaffee. er wird freundlich von anderen begruesst, die meinen, er solle doch gleich hier bleiben, Portomarin sei ein Loch, gegen das hier. Das Komma ist von Bedeutung.
Wir gehen noch ein Stueck, dann muss er beschleunigen. Was hat ihn auf den Weg gebracht. Einmal ein lang gehegter Wunsch, dann guenstige Bedingungen, ein Produktionsloch gewissermassen. Die materiellen Mittel und eine gewisse Freiheit der Entscheidung gehoeren auch dazu.
Portomarin ist ein ganz neuere Ort. Das Anstauen eines Wasserreservoirs hat die Verlegung eines ganzen Dorf bewirkt. Die romanische Burgkirche wurde ab= und an anderer Stelle wieder aufgebaut. Drumherum Platz fuer Arkaden und stabile Haeuser.
Dahinter alles Notwendige, Bars, Polizei, Herbergen etc. Wegen eines Missverstaendnisses bekomme ich einen Liter frischen Orangensaft zubereitet. 10 Euro muss ich dafuer bezahlen. Aber geschmeckt hats maerchenhaft.
Auch ein Weg von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt. (Japanische Weisheit)
Abonnieren
Posts (Atom)