noch einmal: zwei - sieben
Gérard Rivière und ich stehen noch mal in der Hotellobby. Wir wissen, dass wir ein Stück weit zusammen wandern könnten. Er bleibt wegen seines kranken Fusses noch einen Tag. Aber dieses Mal will er in Santiago ankommen. Er schließt nicht aus, dass hinter den Ergebnissen der Wissenschaft ganz andere Erklärungswirklichkeiten stecken, meint aber, dass Religion den Zugang eher verschließen als ihn öffnet. Meine Überzeugung, dass Religion einen grundsätzlich umfassenden Ansatz darstellt, dem Wissenschaft weit hinterher hinkt, gefällt ihm nicht besonders. Immerhin hält sich sein Amusement in Grenzen, weil er bei meinem Kenntnisstand in Sachen Kosmologie keinen echten Vorteil ausmacht.
Wir brechen das Gespräch ab und werden es in Paris fortführen.
Aus Sarria herauszukommen ist gar nicht so leicht, schließlich klappt es aber doch und dann geht es über Kloster Samos hinauf zum O Cebreiro - eine Passkette um 1300 Höhenmeter - dann hinunter nach Astorga. Dort mache ich etwas Gaudi-Gedenk-Pause und erinnere mich, dass der Camino Frances seinen Namen von den französischen Siedlern hat, die die Herrscher über lange Zeit den Weg entlang ansiedeln wollten. Vielleicht war Astorga der erste Platz, der damit in Zusammenhang gebracht wurde. In dem (unvollendeten, ehemaligen) Bischofspalast befindet sich heute ein Museum zur Geschichte der Santiago-Pilgerschaft. Ich halte dann erst wieder in Carrion de los Condes. Die Landschaft der Meseta hat etwas grandioses. Über schier endlosen Horizonten ein flacher spannungsloser Himmel von tief- bis blassblau. Die jetzt abgeernteten Felder parzellieren den Boden zwischen Goldgelb und Rot, wenn die Eggen bereits den Boden aufgerissen haben. Dazwischen Felskomplexe, ein kleiner Burgort mit Kirche oder sogar etwas Wald. Und dieses stundenlang. Seit Pamplona heißt diese Strasse Autovia del Camino de Santiago. Damit werden die Autoreisenden bewusst als (moderne?) Pilger angesprochen. An anderen Strassen tiefer im Land steht schon mal: Achtung Santiago-Pilger kreuzen! Hier aber kreuzt nix! Kostet aber auch nix.
Burgos zur Rechten liegen lassend gehts nach Nord-Ost und schließlich steil nach Norden, nach Bilbao. Zur Linken eine sich abflachende Gebirgskette und darüber schwere schwarze Wolken. Schon 30 KM zuvor hat es angefangen zu nebeln, zu regnen und zu stürmen. Ein Weiterkommen ist schließlich unmöglich. Ich verschanze mich in einer Raststätte und nehme einen sich selbst erhitzenden Kaffee von Nes zu mir. Man drückt am Boden auf eine Wölbung und nach 40 Sekunden ist der Kaffee heiß. Dafür schmeckt er überhaupt nicht und die Flüssigkeit ist einfach zu wenig. Das Drumherum ist klobig und nur technisch interessant. Ein Mann um die knapp 40 wummert mit Harley an die Zapfsäule. Wir kommen über das Wetter ins Gespräch und verwandeln uns vor den Augen der obersten Benzinhüterin in Mondgespenster. Da bei mir alles etwas langsamer geht, komme ich erst bei Einbruch der Dunkelheit vom Acker. Es ist etwa 20 Uhr. Nebel und dünner Regen setzen erneut und mit durchdringender Macht ein, die Reisegeschwindigkeit geht gegen null. Dennoch komme ich um halbelf in Bilbao an und lande ohne es zu wissen mitten im Guggenheim-Museum. Ich lasse schließlich die Maschine bei einer menschenleeren Parkanlage stehen, rutsche eine Brücke hoch und bestaune das Bauwerk Frank O. Gehrys in nächtlicher nasser Beleuchtung.
Neben mir steht ein junger Russe. Nach einigen Sprachversuchen einigen wir uns auf englisch. Seine Schlussfrage war: Wieviel Zeit hast Du dir für Bilbao genommen? Ich sage: 30 Minuten. Er bekommt einen Lachanfall ...
In einem Raststätten-Café zurück in Richtung Autobahn höre ich, dass der Regen von San Sebastian her aufgehört hat. Der Mann der guten Nachricht möchte mir zu einem Hotelzimmer verhelfen. Er scheitert kläglich. Mittlerweile ist es schwarze Nacht. Ich fahre in Richtung San Sebastian. Lange zuvor endet die Autobahn. Der Regen hält an. Seit Tagen malträtiert mich eine Blasenentzündung, weshalb ich alle halbe Stunde von der Maschine runter muss. Die Suche nach einer geeigneten Stellfläche, der Drang und die Nässe ergeben einen einzigartigen Erlebniszusam-menhang. An der letzten Mautstelle bekomme ich den Hinweis auf ein Hotel mit freien Zimmern. Ich finde das Haus, stelle die Maschine ab und man öffnet mir das Portal.
Das unbeschreibliche Desinteresse der jungen Frau hinter der Theke an dem seltsamen Gast und seinen Nöten nachts um halbdrei gehört in das Lehrbuch für Empfangspersonal. Falls dieses baskische Gastfreundschaft darstellt, dann, ihr Lieben, muss ich Euch abraten, unter schwierigen Umständen dorten Hilfe zu erwarten. Gerne schildere ich, was da vor der Theke steht: Ein triefendes und unförmiges Unglücksgebilde in einem signalroten Regenanzug, kaum als Mensch auszumachen, weil der Helm um der Gefahr der Kopfexplosion willen noch aufsitzend, seitlich durch ein Nylontuch gedichtet, unten das struppige Kinn, die Brille weißlich angelaufen, mit konvulsivischen Bewegungen gegen das klopfende Pinkelbedürfnis, von innen heraus sich aufschwitzend. Ein Ei wird auf Dauer hart gekocht, ich aber wurde weichgekocht. Vor dem Spiegel werde ich nachher aussehen wie eine der Tatortleichen auf dem Untersuchungsschragen. Ich soll ein Melde-Formular ausfüllen, meinen Ausweis zeigen, eine Unterschrift leisten, mein Motorrad da wegstellen und zum Transport einen Caddy mitnehmen und bitte sofort bezahlen. Habt Acht vor dem ETH Hotel bei San Sebastian! immerhin gestehe ich, dass ich bei allem Elend sicher zum Fürchten ausgesehen haben muss.
Aber ich habe ein Bett, wenn auch keinen Rotwein.
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