zwei - sechs
Schon in der Früh wurstelt Walter im Zimmer nebenan. Kurz nach acht hole ich ihn im Hof zum Frühstück, wo er schon mit der Architektur des neuen Aufbaus beschäftigt ist. Frau Sager, die Hauswirtschaftsleiterin, hat uns eine reiche Pilgertafel bereitet und setzt sich für einige Minuten zu uns. Das ist die richtige Bühne für Walter, der damit herausrückt, dass er nicht weiterfahren wird. Der kraftraubende Trip gestern, Schmerzen und die Angst, dass er sich noch schwerere Schäden zuziehen könnte, sind die Gründe. Das muss ich akzeptieren.
Es dauert bis um Mittag, bis wir alles neu geordnet und verzurrt haben. Er wird die Autobahn nach Stuttgart, Würzburg nehmen. Ich mache mich selbst an die letzten Vorbereitungen zur Abfahrt, stelle den Bericht noch in den Blog – Dank sei Frau Dr. Fander, die auch einen Blick auf die Segnungsszene im Marmelsteiner Hof geworfen hat – gebe die Schlüssel ab, Abschied von Frau Sager, mit der ich nach 19 Jahren zum ersten Mal mehr als höfliche Worte getauscht habe. Sie ist zurecht stolz auf ihre Tochter, die in verantwortlicher Position bei Conti in Mexiko arbeitet und lebt. Und sie freut sich auf den ... Ruhestand.
Ich rufe Heidi, meine Schwester, im benachbarten Radolfzell an. Das Problem Tachowelle muss gelöst werden. Der erste Versuch misslingt, wir fahren zu einer Honda-Fachwerkstatt, wo der Defekt sachgerecht, aber mit unendlicher Gemütlichkeit von einem bejahrten Mechaniker gehoben wird. Dabei wird er von einem weiteren Faktotum scharf beobachtet, welches in sauberem Blaumann gewandet, unverständliche Kommentare brummelt. Und mich Beifall heischend und den kahlen Kopf schwenkend zur Zustimmung auffordert. Nach getaner Arbeit „ferdigg isch no!“ taucht ein jüngerer Mechaniker auf, der mir, „für Jakobspilger mache mers billiger“, 15 Euro abknöpft. Billig denke ich mir, 3 Männer und Anhang mit einer halben Stunde für Wochen ernährt. Prima Tatsache: Ich weiß wieder, wie schnell ich fahre.
Mittlerweile hat Heidi in ihrem Garten einen Salat gepflückt und ein Ei abgekocht. Wir setzen uns auf den neuen Balkon, ich esse und trinke dazu Rooibush-Tee mit Stevia. Die grünen Blättchen kann man wie Kaugummi ankauen und so das Getränk süßen. Schmeckt gut, ohne Kalorien und ohne den Beigeschmack der getrockneten Variation. Wir reden über meine Absicht, unsern Bruder Reiner in Portugal zu besuchen. Wenn ich es nicht versuchen würde, so wird mir klar, würde ich mir das Unterlassen bis an mein Lebensende vorwerfen. Blut ist ein dicker Saft.
Ich nehme die Autobahn über Schaffhausen, dann eine mühsame und schleppende Fahrt über kleinere Strassen nach Luzern. Gegen sieben bin ich bei den Kapuzinern, werde überaus freundlich empfangen und binnen Minuten erscheint Pater Professor Dr. Dietrich Wiederkehr,
Fundamentaltheologe em.
Wir versorgen das Motorrad, nehmen das wichtigste mit, ordnen meine Unterkunft in St. Agnes bei den Dominikanerinnen und bekommen die Schlüssel. Man hat uns erst morgen erwartet, aber die Zimmer waren schon gerichtet.
Zusammen gehen wir einen wunderschönen Weg in das Luzerner Zentrum hinunter, mit gelegentlicher Aussicht auf den See und den dahinter sich auftürmenden Pilatus. Auf dem Friedhof der zweitürmigen Hofkirche sind Berühmtheiten beerdigt, darunter Otto Karrer und Hans Urs Kardinal von Balthasar.
Am Fuß der majestätischen Treppe sitzen wir, genießen das Bier und bauen an der jungen Bekanntschaft. Der Themenbogen umfasst viel biographisches, Landesgeschichte, den Jakobsweg, viel Leid und einige Freud an unserer Kirchenführung, kirchliche Strukturen im Vergleich, vor allem Romanik und die Planung des morgigen Tages: St. Gallen kommt später, aber Sarnen und Ranft müssen sein. Am Donnerstag folgen Romainmôtier, St. Pierre de Clages, Payerne und der Thuner See.
Irgendwann kommt der Moment, wo sich die Dietriche Dietrich sind. Das passt zusammen und ich freue mich, wenn wir wieder einmal mit Kochs zusammen sind. Pater Wiederkehr ist nicht einfach ein Hochschultheologe, sondern eine herausragendes Beispiel für eine autarke Position zwischen den Zeiten. Die beiden Schlüsselqualifikationen Auto und Computer selbst nicht nutzend – ohne sie zu verachten – werden die „untergehenden“ Bahn und Schreibmaschine bis in die letzten Verästelungen ausgereizt. Um dasselbe zu erreichen, muss man neben hoher Intelligenz ein Übermaß organisatorischer Fähigkeiten besitzen. Während das Thema Auto nicht mehr attraktiv genug ist, scheint doch der Computer und seine Möglichkeiten die Neugier des wahren Wissenschaftlers zu reizen. Da kommt noch was.
Um elf liefert Pater Dietrich den Gast bei St. Agnes ab.
Weil wir die Schlüssel vertauscht haben, komme ich nicht an meine Sachen. Eine französisch sprechende Schwester sieht noch fern, aber auch sie ist erfolglos. Deshalb schlafe mit ohne nix nebenan in „Walters“ Zimmer.
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lieber Dieter,
AntwortenLöschenschön, dass du jetzt schon im wunderbaren gelobten Land bist.In Gedanken immer dabei immer Asphalt unter den Reifen grüßt Dich Gerhard