zehn – sechs
Ich habe mir Zeit gelassen und bin erst um acht aus dem Zelt gekrabbelt. Das ist mitunter gar nicht leicht, weil ich in den letzten Tagen immer mal wieder von Beinkrämpfen geplagt bin. Wenn ich die ersten Anzeichen rechtzeitig wahrnehme, dann kann ich noch schnell was tun. Am besten ist aufstehen und herumgehen, oder kennt jemand etwas besseres. Zur Vorbeugung hat bislang eine halbe Banane genügt. Vielleicht schwitze ich zuviel und muss auf die ganze Banane hochbeamen. Dumm ists nur, wenn der Krampf gerade beim herauswuchten kommt.
Ein Camper kommt vorbei und fotografiert meine Zeltkonstruktion. Wir kommen ins Gespräch und gehen zusammen zum nahen Bäcker Frühstücken. Er stammt aus Metz und lebt in Luxemburg. Er fotografiert nur Zelte mit Menschen, mittlerweile bestimmt zwei tausend. Aber so eine Konstruktion hat er noch nicht gesehen. Man sieht doch auf der ersten Blick die völlige Ahnungslosigkeit des Architekten, der Pol muss mit Abstandhaltern die Belüftung sichern, am Eingang ist zuviel Spannung, da gehen die Reissverschlüsse kaputt. Die Deutschen können das einfach nicht, mit dem Kopf arbeiten. Die gucken wie die Kühe, wenn Ihnen ein Franzose was vormacht! Gut die Franzosen machen schlampig alles, viel zu schnell.
Am Ende sind die Deutschen fertig, wenn der Franzose immer noch sucht, warum seine geniale Konstruktion nicht funktioniert. Hat Spaß gemacht ...
Seit gestern macht auf dem Campingplatz eine junge Frau aus Dresden Platzdienst. Träger dieser Praktikantenstelle ist die Gemeinde Le Puy, Kost und Logis, kein Geld. Im Anschluss an den Satz: Ich bin ja schon daran gewöhnt, dass ich zur Arbeit noch Geld mitbringen muss, fällt uns auf, wie man den Pilger-Tourismus hier wahrnimmt. Wie das früher war, hat die Forschung ermittelt. Heute arbeiten auf der Dienstleisterseite fast nur Leute aus dem Niedrig-lohnsektor bzw. im Zweitjob. Die sonst nicht über die Runden kommen. Die da vorbeikommen mit ihren tollen Motorhomes oder Gespannen, sind fast nur Ältere, jedenfalls über 60 Jahre alt, die Männer eher in meinem Alter. Diese Leute haben Zeit und Geld. Selbst wenn sie knausern, sperren die jungen Leute in den Cafés oder beim Shoppen die Augen auf. Eine Camperin lässt, gewandet in einen rot-braunen Sari und goldbehängt, das Brauchwasser ab. Derweil der Begleiter Befehle aus dem Fenster knarrt. Die heutigen Pilger und Camping-touristen können sich das alles leisten. Noch in meiner Jugend war das alles eher der Urlaub der kleinen Leute! Auch die Wurst war mal Nahrung für Leute, die sich gewachsenes Fleisch nicht leisten konnten.
Am Schlauchplatz, wo die Wohnwagen Brauchwasser ablassen und frisches Wasser aufnehmen, erscheint Knut aus dem Saarland, ein früherer Hauptschulrektor. Sein Gefährt ist ein VW-Kastenwagen Diesel mit etwas Eigenbau, er schläft auch drin. Seit seiner Pensio-nierung genießt er die Reisefreizeiten. Reisen ist ihm Begegnung, er nimmt was er bekommt.
Das war immer so: Wer Begegnung will, bekommt sie. Und manchmal sogar Freundschaft über Grenzen hinweg. Grenzen, die jetzt formal gefallen sind. Nach und nach fallen viele künstlichen Grenzen, die erst mit den Nationalstaaten entstanden sind. Jetzt entstehen auf vielen Ebenen neue und hilreiche Netzwerke.
Um eins komme ich vom Platz. Ich halte in Saugues, dann verpasse ich St. Alban und mache einen Umweg in die Margerides, eine Art Ginsterheide, wo ich zwei Schweizer aus Thun treffe. Dann hinunter nach Marjevols, bis ich schließlich gegen sieben am Haus Richard in Nasbinals eintreffe. Es ist noch Platz genug in dieser sehr gepflegten kommunalen Erwachsenen-herberge. Ein Ehepaar, er aus der Umgebung von Lourdes, sie aus dem Norden, bewohnt die untere Etagen zweier Stockbetten, ich die dritte. Wir kommen auf die Familienfrage. Wie kommentieren die Kinder und Verwandte das Pilgern!?
Das Gleiche unten im Restaurant: Ein deutsches Paar. Er ein gut aussehender 70er, sie etwas jünger. Sie routinierte Pilgerin seit Jahren, er zum ersten mal dabei. Für die Familie, auch für die Kinder spinnt sie, hat den frommen Tick. Sie ist aber gar nicht fomm, hat kein besonderes Bedürfnis, sonntags zur Kirche zu gehen, aber sie denkt gerne nach, und das geht bei Fußarbeit am besten. Der einmal gewonnene Rhythmus des Gehens schafft Sauerstoff in die Gehirnwindungen. Aber vermutlich ist es nicht ganz so einfach.
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