neun – sechs
Was für eine Nacht! Dabei hätte alles noch viel schlimmer kommen können. So konnte ich doch immer wieder ein bisschen einschlafen. Über das Fussende hatte ich die Motorradjacke ausgebreitet, dann nach Art der Dachdecker die Regenpelerine. Trotzdem war in den letzten Ecken alles feucht. Einer der Höhepunkte dieser Nacht war die Entdeckung der LED-Leuchte an meinem Taschenmesser. Dieses winzige Ding reichte aus, um zu verhindern das Socken, Papiertaschentücher und Unterwäsche einnässten, nicht aber, dass mein Geldbeutel noch jetzt feucht ist und sich mehr und mehr auflöst. Das Geld hat eine lapprige Konsistenz angenom-men, die von den Empfängern unterschiedlich bearbeitet wird. Eine Proxi-Kassiererin ver-schwindet für einige Minuten und kommt mit gewechselten Scheinen zurück, der alte Barmann bei St. Michel de l’Aiguilhe nimmt den Zehner gar nicht an, sondern fordert unmiss-verständlich harte Münzen. Also Ihr Lieben! Wenn ihr wieder mal ein schweres Gewitter in einem kleinen einwandigen Zelt überleben müsst und nix seht, dann freut euch über den Tip: Rettungstaschenlampe raus und sichern:
Um vier habe ich’s nicht mehr ausgehalten. In den anbrechenden Frühstimmung hingen ein Paar Reststerne und so wackle ich nach den nötigsten Sicherungsarbeiten Richtung Aiguilhe, den sensationellen 88 m hohen Vulkanschlot mit obendrauf fixierter Michaelskirche. Wunderschön mit dunkelblauem Hintergrund beleuchtet, könnte man meinen, die Kirche schwebte alleine dahin. Weiter drin schaffen die Bäcker (maîtres artisans) die Tagesration Baguettes an und um halbsechs öffnet bei Lafayette das erste Café. Ich nehme zwei große Milchkaffee und unterhalte mich immer wieder mit dem Barmann. Er ordnet die Stühle unter den Bäumen draußen und wischt vor dem Café Tische und Sessel ab. Er hat den Job von seinem schon viel zu alten Vater übernommen, weil er arbeitslos wurde. „Harter Job, wenig Einkommen. Wie ist das bei euch, fragt er, mit der Krise. Die Leute sitzen hier stundenlang vor einem leeren Tässchen Espresso. Da kann man nicht so leicht reingucken. Wären die Pilger nicht, würde er noch schnarchen. Die aber brechen schon ganz früh auf, bei ihm vorbei und trinken fleißig Kaffee und Tee, ich habe schon „Salon de thé“ auf die Fenster malen lassen. Bis um neun hab ich die Hälfte vom Tagesgeschäft gemacht.“ Warum die das machen, weiß er nicht. Meist ältere Leute, die haben noch Geld. Hat was mit Aberglauben zu tun. Als ich weggehe, sagt er, dass sein pied noir (Schwarzfuß/Nordafrikaner) prima kocht ...
Zu-Zelte angekommen verkrieche ich mich und kann bis neun gut schlafen. Nebenan baut mein Nachbar sein Zelt ab, ein großer Mann, der mir seinen Stein schenkt, der ihm beim Eintreiben der Heringe behilflich ist. Er hat sich einen „Schussapparat“ gekauft! Dann erklärt er mir sein Zelt, ein Wunderding, das aber jetzt den Geist aufgibt, was bedeutet, dass das Material brüchig wird. Er faltet es zusammen und trägt es zur Verwertungstonne, wo ich es mir später wieder heraushole, mittlerweile von Speiseresten und unappetitlichem Kram fast bedeckt. Unter Aufbietung meiner letzten Camping-Eingebungen breite ich die Plane über meinen Winzling aus, befestige mit den restlichen Heringen und habe plötzlich eine ansehn-liche dreihäutige (nur am Eingang) Wohnung.
Was ich noch mitteilen will: Dieser Franzose (56 Jahre alt, seit 11 Jahren nur Minimalrente) hat keine Wohnung, sondern wandert jahraus jahrein durch Frankreich. Längst könnte er vom Ersparten (!) etwas kaufen, aber das Wandern ist ihm zur zweiten Natur geworden. Vielleicht auch eine Sucht.
Etwas später packt ein anderer Nachbar zusammen. Es ist ein Schwabe aus der Umgebung von Ulm. Er fährt einen Peugeot 207er Kombi, den er so hergerichtet hat, dass er darin kochen kann. Er hat sich vorgenommen, Südfrankreich zu erkunden. Dazu hat sich Den Landstreifen in Quadrate eingeteilt. Jetzt ist sieben hoch und neun von links dran. Die Sprache will er nicht lernen, mit den Menschen keinen Kontakt, aber wenn er wieder nach Hause kommt, dann schraffiert er das befahrene Quadrat, rot, abgefahren. Abgehakt. Nächstes Jahr ist sieben hoch/zehn von links dran.
Es gibt ein kleines Freiluft-Lokal bei der Rezeption. Der Koch cuisiniert in einem Wohnmobil. Zum Mittag bestelle ich ein Entrecôte mit Pfeffersauce (vom französischen Aubrac-Rind). Zwar hätte ich mir das auch zugetraut, aber eben nur „hätte“. Es war essbar, aber verbesserungsfähig. Abends habe ich dann doch lieber einen grünen Salat mit regionalem Käse, unter anderem Bleu d’Auvergne gewählt. Das war dann schon ein Lob wert und prompt kam die Einladung zu einem Glas Rotwein.
Am Nachmittag habe ich dann die nassen Sachen versorgt und habe mir ausführlich die Stadt bei Tage betrachtet. In der Kathedrale hat ein Bischof mit einer Privatgesellschaft Eucharistie gefeiert.
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