vierundzwanzig – sechs
Das Frühstück im Condes de Haro kann sich schmecken lassen. Gekochter Schinken, Pyrenäenkäse, verschiedene Konfitüren ... Und bis um zwölf kann ich bleiben. Wenn alles gut geht, kann ich morgen (DO) in Sarria sein. Dienstag oder Mittwoch könnte ich in Santiago ankommen. Die Planungen konkretisieren sich fortlaufend. Bei den Telefonaten mit Edith spielt dieser Teil eine wichtige Rolle.
Sehr viel denke ich in diesen Tagen (und danke auch) an den großzügigen Förderer dieser Unternehmung. Lieber Andreas, ich könnte mir denken, dass Du zwar hie und da den Kopf schütteln würdest, aber es würde Dir ziemlich Spaß machen dabei zu sein. Einzelheiten später.
Obwohl ich schon vor sieben auf den Beinen bin, dauert es ewig, bis alles fertig ist. Wirklich fertig. Im Zimmer bin ich um zehn raus und die Texte sind am Gästerechner schnell eingegeben. Aber die Bilder dauern. Ich nehme an, dass es die großen Bilder sind, die ihren Weg durch viele Flaschenhälse zu den fernen (?) Speicher finden müssen. In der Straße vor dem Hotel hat sich ein Wutbündel entwickelt, weil jemand sein Auto mit laufendem Motor in zweiter Reihe abgestellt hat. Unsere Hotelmanagerin kommt heraus und erklärt mir, dass man lange die Pilger für alles Negative verantwortlich gemacht hat: Kleine Diebstähle, Mundraub, die Leute nehmen einfach so einen Apfel mit, Hotelrechnungen werden nicht bezahlt etc. Das alles war einmal. Die Pilger haben eine völlig unauffällige Zahlungsmoral und haben meist viel, jedenfalls ausreichend bare Mittel dabei. In den vergangenen zwei Jahren sei die Aggressivität der Bevölkerung auffallend angewachsen. Viel Streit in den Straßen und Cafés und in den Familien.
In alten Zeiten waren eher die Städte die sicheren Zufluchtsorte, Inseln der Ordnung im feudalen Chaos untergehender Strukturen. Heute sind sie oft Anlässe für ärgerliche Zwischenfälle, nicht zuletzt, weil das gesamte Gesundheitssystem in der UE wackelt und die Zufriedenheit der Menschen mit den Machtstrukturen sinkt.
Zwischen den Ladezeiten hole ich das Moped aus den Tiefen der Keller und lerne dabei dunkle Steilpassagen zu beklettern, ohne oben an die gegenüberliegende Mauer zu donnern.
In der Mittagszeit kann ich die Stadt verlassen, die außerhalb immer unansehnlicher wird.
Die Luft verbessert sich erheblich, nicht zuletzt, weil der Verkehr zu dieser Zeit geringer ist als zu anderen Tageszeiten. Ich nehme die N120, um als nächstes Najera und Santo Domingo de la Calzada zu durchfahren. In Najera ist großes Schulfest am Fluss und überall findet irgendwas statt. In dem Trubel zwei Pilgerfrauen mit Fahrrädern und Hochleistungsausrüstung. Am Kopf Elektronik, eine hat ein Navi am Rad. Es sind Luxemburgerinnen, die französisch sprechen. Sie sind seit einem Monat unterwegs und wenn sie am Wochenende in Santiago ankommen, geben sie die Räder bei der Bahn auf und fliegen nach Hause. Es wird nur gefilmt, keine Fotos. Der Rückweg als Verarbeitungsstrecke fällt auch hier weg. Die technische Lauf-Bildbearbeitung steht für die zeitliche des Weges. Sie wollen die Räder nicht alleine lassen, deshalb bleiben sie im Getümmel stehen. Eine von ihnen geht kurz weg, drei Eisbecher zu organisieren. Ich habe mein Moped auf einer kleinen Parkinsel stehen, fast in Sichtweite. Wir schlecken Eis und schauen den Balgereien im flachen Flusswasser zu. Es ist alles sehr bunt und nass. Alle Spiele sind bekannt und gut organisiert, es gibt Favoriten, bei deren Auftauchen wie am Spiess geschrieen wird, wir verstehen die Ablaeufe dennoch nicht gut. Die beiden Frauen, so um die 30, wollen noch nach Burgos ins vorbestellte Zimmer. Wir verabschieden uns.
Santo Domingo hat zwei Paradores, staatliche Hotels in historischen Gebäuden. Und eine märchenhafte Altstadt, die jetzt in der Mittagsglut nur hie und da Leben vermuten lässt. Kindergeplärre, Radio da und dort, eine Glocke und auf den fünf dicken Türmen an der Stadtmauer klappern Dutzende von Störchen. Die Sonne kommt fett von oben, keine Chance für gute Bilder. Selbst der romanische Chor der Kathedrale verweigert sich meiner Kamera.
Das ist in Burgos anders. Es ist zwar nicht leicht, zur Kathedrale durchzustoßen, aber schließlich folge ich einer Rennsemmel, die sich mit Schwung fast vor das Portal setzt. Es ist eine Krankenschwester im Dienst. Vorsichtshalber stelle ic das Moped doch weiter oben ab, wo zwei Männer, eher so etwas wie Wohnsitzlose mit einem Wuschelhund eine kleine Weltinsel aufgebaut haben. Ich nehme es vorweg. Meine offen eingeklemmte Freizeithose hat den Besitzer gewechselt. Ich nehme mal an, das dies der Preis fürs Aufpassen war ...
An dem unglaublich reichen Bauwerk stört nur der Eintritt von sage und schreibe 6 €. Ich verweigere mich dieser Zumutung und investiere in zwei frische Biere und Tapas: Halbe Eier mit Krabben und Käsecreme. 6,20 sind damit am Welterbe vorübergezogen.
Ich beschließe bis Carrion de los Condes weiterzufahren, um am Donnerstag Sarria zu erreichen.
Ich finde in Carrion das bislang schönste Hotel, das uralte königliche Kloster San Zoilo, fast so schön wie ein Parador, aber viel günstiger. An der Theke der Bar gelingt es mir, den Barmann, der nur für mich da ist, als Spanischlehrer zu aktivieren. Vor allem lehrt er mich, den bestellten Käse mit den Fingern zu essen. Für mich als Messer-und-Gabel-Fetischisten eine schwere Prüfung. Für meinen Versuch, dafür Bakterien oder anderes Viehzeug zu bemühen, hat er nur lautes Lachen übrig, auch an der Rezeption wird gelacht. Die verrückten Alemanes ... was denen nicht alles einfällt, um sich das Leben als Pilger zusätzlich schwer zu machen! Ich behaupte, ein besonders unzuverlässiges Exemplar für meine Nation zu sein, meinen Landsleuten seien Essbestecke noch weitgehend unbekannt. Das vermittelt zu haben, in spanischer Sprache, hat mich zufrieden ins Bett gehen lassen.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen