zweiundzwanzig – sechs
Mit der Hoteliere von Notre Dame de Lorette würde ich mich gerne bis zum beidseitigem Untergang kabbeln. Da sie der Überzeugung ist, dass man ohne sie, etwa bei Erkrankung, schließen müsse, schließt sie in dieses Muster auch alle anderen Dinge mit ein, selbst die, welche ihr egal sind, je m’en fiche! Die beiden Fahrradmänner aus dem Münsterland saßen einfach nicht comme il faut auf den Warteplätzen. Das hat ihr im Auge weh getan, wie sie mir sagt, als die weg sind. Die Pilger, die zu ihr kommen, lassen sich offenbar leicht lenken. Mir scheint, bei rechtem Hinschauen, braut sich da eine Revolution zusammen. Der neue Pilger ist im Kommen.
Zum zweiten Male brause ich schweißarm von hinnen. Einfach in Richtung Westen. Die Landschaft erscheint zuerst eher sanft und freundlich, sehr grün und sonnig, angenehm kühl.
Dann weitet sie sich und im Süden werden die Berge zackiger. Hinter eine Brücke taucht unversehens eine seltsame Baugruppe auf: Um einige großformatige Häuser und eine große Kirche ordnen sich in parkartiger Landschaft kleine Spielkirchen an. Es scheinen Kirchen und Dome für ein Zwergenvolk zu sein. Es sind aber die Heiligtümer von Bétharram. Ich halte an, fotografiere für Euch (!) und fahre mit dem Vorsatz weiter, die Sache im Internet zu recherchieren. Wenig später fahre ich auf das Netz der Pyrenäenstraßen auf, ein Gewimmel schöner touristischer Strecken, die ich wegen des allgegenwärtigen Rollsplit in aufrechter Haltung durchfahre. Ortsnamen wie Aramits und Tardetz deuten den Wechsel ins Baskische an. Alle Strassennamen und Ortsbezeichnungen, Geschäftsbezeichnungen und Hinweisschilder sind entweder nur baskisch oder zweisprachig. In einem unglaublich kleinen Ort von 12 Häusern gibt es einen Kirchplatz, wo ich eine Melone und etwas Proviant kaufe.
Da stehen drei Sonnenschirme und die Einladung, sich ohne Verpflichtung hinzusetzen. Aus einem Automaten kann ich ein Cola Light auslösen, und dazu Käse, Schinken und Brot essen. Solltet Ihr auf dem Foto eine Weinflasche erkennen, so seht Ihr richtig.
Der Betreiber des Andenkenladens erscheint. Er hat die Muschel auf dem Motorrad gesehen und fragt, was mich hierher verschlagen hat. Ich erkläre ihm meinen Plan. Er holt Kaffee und kleine Trockenkuchen, gefüllte Madeleines. Zwei Schulkinder wollen sich aufs Motorrad setzen, ein Streit entbrennt. Der Papa schlichtet. Unter dem Druck der Ereignisse bocke ich das Moped hoch, jetzt steht es stabil und die Kinder können darauf herumturnen. Die Mutter ist mit einem belgischen Jakobspilger weitergezogen, dann hat er wieder geheiratet. Er ist nicht sauer auf den Pilger, aber er schaut sich die Kerle genau an. Seine Frau kommt aus dem Lebensmittelladen nebendran, wischt sich die Hände an der Schürze ab. Ich überlege mir, ob sie eine Versuchung wert ist. Aber er hat sich wohl etwas ganz stabiles zugelegt.
Dann kommt die lange Anfahrt auf St. Jean-Pied-de-Port. Zuerst unendlich lange hinauf und dann ewig hinunter. Unglaublich schöne Bilder! Ich habe kein einziges Foto gemacht und bin wie besoffen durch die Lüfte gesegelt.
Ich rufe einen Zimmervermieter an und bestelle ein Zimmer für 20 €. Es klappt, zwischen vier und fünf werde ich dort ankommen. Um halb fünf stehe ich vor der Türe. Ein trotteliger Mann, der kein Französisch spricht (erster Einsatz meiner neuen Spanisch-Faehigkeiten), klärt mich auf, dass seine Frau wie alle Frauen beim Plappern die Zeit vergisst. Aber man kann ihnen nicht böse sein. Das muss man in Kauf nehmen. Weshalb hat Gott uns Männer vollkommen gemacht? Doch nur, um den Frauen ein Vorbild vor Augen zu stellen. Aber sie kriegen das einfach nicht hin ...
Um halbsechs erscheint eine zierliche gepflegte Person, der man die Schärfe vor dem ersten Ton schon ansieht, vielleicht 75. Später stellt sich heraus, dass ihr Mann 67 und sie 66 ist.
Sie bekommen das schönste Zimmer, mit warmem Wasser. Es kommt sehr heiß, passen Sie auf Monsieur. Ich kann das Moped irgendwie am Haus abstellen, mit einem Stein am Hinterrad. Ich komme schon beim Gedanken an das Wiederbeladen einen Schweißausbruch.
Vous avez une très belle moto! OK, aber das Zimmer ist, außer sauber, schrecklich. Kein Schlüssel (wir lassen hier alles offen), Toilette und Klo weit weg (dann gibt es keine unangenehmen Gerüche im Zimmer), kein Zahnputzglas (fragen Sie, wenn sie etwas brauchen), keine elektrischen Anschlüsse (wir lieben es traditionell). Aus diesen und weiteren Defiziten errechnet sie einen Zuschlag von 250%, also 50 Euro, Pilger sind Sie, gut, dann 45.
Aber dabei bleibts! Ich gehe zum Pilgerbüro, wo man Überlegungen anstellt. Zunächst besorgt man mir ein anderes Zimmer, aber ich bin zu müde und die Dinge haben sich schon zu weit entwickelt. Vielleicht, wenn ich kein Deutscher gewesen wäre ...
Ich kauf mir noch eine Flasche Orangensaft und gehe ins Bett..
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