Donnerstag, 25. Juni 2009

Von Carrion de los Condes nach Sarria

fünfundzwanzig – sechs

Kurz nach elf habe ich gemerkt, dass ich mich jetzt beeilen muss, um das Zimmer frei zu geben. Um zwölf bin ich an der Rezeption ... Es gelingt, in Sarria ein Zimmer zu bestellen mit der Auflage, dass ich das Motorrad für eine Woche unterstellen kann.
Das Moped wird mittlerweile routiniert beladen. Der nächste Camino-Ort, den ich gerne sehen will, ist Sahagun, früher das übermächtige Klosterzentrum der Region, dem letztlich auch San Zoilo zum Opfer gefallen ist. Im Gegensatz zu diesem aber ist San Zoilo erhalten geblieben, mit vielen wertvollen Details. Z. B. die gewaltige Ikonostase in der Kirche oder der Kreuzgang von majestätischer Höhe. In der Kirche singe ich mich Obertonübungen ein, nur so, um dem Raum zu zeigen dass ich da bin. Aber auch dem Floristen, der ein Gitter für eine Hochzeit schmückt, gefällt mein Gesumse. Er will wissen, ob man mich für das Fest engagiert hat. Kein schlechter Gedanke und weil etwas französisch spricht, frage ich ihn, ob man im Ort spürt, dass der Camino hier durchzieht. Und spontan sagt er, dass die Brautleute sich auf dem Camino kennengelernt haben. Und weil die Braut einer bekannten Adelsfamilie entstammt, kommt auch der Erzbischof von Burgos angereist. Er steckt mit flinken Händen Efeu und große Blüten in das schmiedeeiserne Gitter, was supergut aussieht. Und anders als früher, kaufen die Leute auch was. Da hat keiner sein Picknick dabei, das ist eine Frage des Gewichts im Rucksack. Die meisten sind sehr ehrgeizig, sie machen unglückliche Gesichter wie beim Joggen. Wenn nicht die Cafés und Hotels durch sie eine gute Kundschaft hätten, wenn’s nach ihm ginge, bräuchten sie hier nicht durchziehen. Das sind doch alles verkappte Gottlose, mit dem Santiago hat das nichts zu tun. Er gerät in Rage, weil er zu wenig Efeu gekauft hat und jetzt umverteilen muss. Ich glaube, er würde jetzt geerne einen Pilger dafür verantwortlich machen. Dann greift er zum Handy und knattert mit einem RRRRausch eine gottverdammte Bestellung in den Äther. Das klappt, er lädt mich, bis die Sachen kommen auf einen Rosé/Rosso (im Gegensatz zum Tinto) an die Bar ein. Leider passiert nicht mehr viel, er hat sich wohl völlig verausgabt.
Ich gehe wieder ans Schreiben ...
Sahagun, ja! Auf dem Stadtplatz, an dessen Rand ich das Moped abstelle, spielen Kinder Fußball. Manchmal werden vorübergehende getroffen, die dann ganz unterschiedlich reagieren. Ein rabiater Durchgänger verbietet das Spiel und weil ich am Motorrad angelehnt einen cafè con lecche trinke, habe ich mehrfach Gelegenheit, den Ball zurückzuspielen. Jetzt wollen sie wissen, ob die Deutschen auch so widerlich sind wie die Leute hier. Ich verstehe zwar, was sie meinen, bin aber für einen so interessanten Dialog nicht mutig genug. Und dann sagt so ein hinterlistiges Würstchen, vielleicht elf, Du kannst ruhig deutsch reden, ich übersetze das. Er lebt in Offenbach und ist für einige Tage in der Heimat der Eltern. Er meint großzügig, dass die Deutschen noch viel schlimmer sind. Die Deutschen hassen Kinder, behauptet er kühl. Mit Kindern kriegt man keine guten Wohnungen und Frauen, die Kinder haben wollen, kriegen keine Arbeit.
Das Café, in das ich meine leere Tasse zurückbringe, ist eine Rarität: alle Wände voller Fotos von Generationen von Kundschaft. Alles geschichtsdunkel und geschichtendurchwirkt. Ic kaufe noch eine Flasche Orangennektar und fahre weiter, Leon fällt, Astorga fällt. Wird auf die Rückreise verlegt. Astorga faellt mir schwer, weil im von Gaudi erdachten Bischospalast eine Camino-Ausstellung aufgebaut ist. Der Aufstieg zum Col von Piedrafita (über 1300 Meter) ist eine Tortur. Es regnet und ist eisig kalt. Unter einer Brücke ziehe ich mir das Ganzkörper-Kondom an. Unbemerkt steht ein Polizist von der Guardia Civil vor mir und will wissen, ob ich in Havarie sei. Er begreift aber schnell und bleibt mit dem Kollegen so lange sichernd mit dem Auto stehen, bis ich wieder auf der Strasse bin. Das ist deshalb bemerkenswert, weil er nicht mit einem Wort erwähnt hat, dass das Anhalten auf dem Streifen komplett verboten ist.
Die Eiseskälte verbessert irgendwie meine Fertigkeiten auf dem Moped, als ich beim Hotel ankomme, was wegen des Stadtfestes gar nicht einfach ist, bin ich fast bewegungsunfähig.
Ich richte mich ein, besichtige den Standplatz für das Moped, finde eine Internet- Station, fange an zu schreiben, mache eine Pause und erwerbe eine Flasche Rioja 2001, für 2,50!
Für ein Zehntel des Wertes. Leider hat der Obsthändler nur eine davon.
Jetzt ist das Zimmerchen ein reines Chaos, denn ich muss alles für den Fußmarsch neu ordnen
Und will morgen früh bald von der Stelle kommen.
Euch allen mein Wunsch, bald wieder unter Euch zu sein. Ihr fehlt mir sehr!
Ich melde mich erst wieder in einer Woche, genießt die Lesepause ...

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