achtundzwanzig - sechs
Meinen Reiseführer habe ich wegen des Gewichts nicht mitgenommen. Deshalb weiß ich jetzt erst, dass das ganze Kirchspiel von Palas de Rei mit romanischen Kirchen voll gestellt ist. Wegen des sehr durchwachsenen Himmels gehe ich wie alle anderen einfach vor mich hin, ohne an Sehenswürdigkeiten zu denken. In allen Fällen hätte ich etwas Umweg in Kauf nehmen müssen: Zum Castillo de Pambre oder dem von Felpos, einer Räuberfeste.
Das Hochkreuz bei Leboreiro steht zwar ganz allein, aber so aufdringlich am Weg, dass man einfach anhält. Solche Kreuze finden sich überall und sehen auf den ersten Blick alle gleich aus. Das muss früher ganz anders gewesen sein. Da war es einfach wichtiger, die Unterschiede schnell zu identifizieren, der Blick und Zutritt zu den Details gelang weitaus erfolgreicher als uns heutigen. An der Calzada empedrada de Leboreiro bleiben die Pilger stehen und fotografieren; während meiner eigenen Pause bleiben einige stehen und schlagen ein Kreuz, gehen weiter. So haben wir das als Kinder auch gemacht.
Der Mann aus Saumur und Arthur.
Schon seit dem Ortsausgang von Palas sind die beiden mal vor, mal hinter mir. Arthur ist ein schwarzer Esel, der ungemein intelligent und hälinge aus den Augen guckt. Ich bin davon überzeugt, dass er seinen Herrn und Meister ein ums andere Mal über den Tisch zieht. Im Gespräch mit ihm fällt mir auf, dass viele auf dem Weg zwar nach Santiago wollen, aber .... nicht dieses Mal, mal sehen obs dies Mal reicht, wenn der Urlaub reicht, wenn die Familie nicht Hilfe ruft, wenns Geld reicht ... Im möglichen Gegensatz zu anderen Zeiten sind die Motivationsqualitäten heute breiter angelegt. Die juristische oder auch die soziale Dimension sind dagegen nicht mehr aktuell.
Die Hochzeitsreise
Das Paar hat sich vor drei Jahren auf dem Camino kennengelernt, jetzt sind sie verheiratet und das erste Kind kommt im November, reist also schon aktiv mit. Beide haben deutsch-österreichisch-französische Eltern und sind in beiden Kulturräumen gut zuhause. Nachdem sie nach Leboreiro langsam auf mich aufgelaufen waren und nach den ersten Kontaktversuchen einigen wir uns auf deutsch. Der Weg ist für diese jungen Europäer zuerst ein persönlicher Schicksalsweg im umfassenden Sinne. An seiner langen Leine können sie viele wichtige Ereignisse aufhängen. Sie wirken sehr relaxt und glücklich. Ich will in Melide eine Pause machen, sie wollen bis Arzua kommen. Es beginnt zu regnen.
Die Philosophin
Kann man auf dem Weg Effekten der Globalisierung begegnen, technisch und wirtschaftlich? In der kleinsten eben noch bewohnbaren Hütte gibt es Satellitenfernsehen und Mobiltelefon. Ich habe den Eindruck, dass eine gute Bar nur in einer möglichst zusammenbrechenden Halbruine Erfolg haben kann. Hinter der Theke stehen alle trinkbaren Genüsse dieser Welt und noch ein paar unbekannte dazu. Das ist Camino-Design. Anders liegen die Dinge auf der kulturellen Plattform. Meine Gesprächspartnerin zwischen Boente und Ribadiso ist eine französische Philosophie-dozentin, die bis dato in Kanada unter Vertrag stand, jetzt aber nach Frankreich zurückkehren will. Dabei wirkt sich die kontinentale Praxis aus, entgegen den erklärten Absichten doch vor allem Lehrer mit Aggregation an die Hochschulen zu holen. Alle wissen, dass die Ausschließlichkeit dieser Praxis unangemessen ist, aber im Wettbewerb doch zum Tragen kommt. Soll sie also die Aggregation noch dran hängen oder ... Der alte Mann in mir sagt: Nein, es gibt noch andere schöne Dinge im Leben. Der jüngere Mann sagt: Ja! Es ist ein Gebot der Vernunft. Dann, wenn du dich nicht korrumpieren lässt, was schwer genug ist, kannst du von dieser Warte aus die Entwicklung weitertreiben. (In Santiago werden wir uns noch mal über den Weg laufen.)
Im Hotel von Palas de rei haben wir vereinbart, dass ich in Ribadiso nach Anruf abgeholt werden würde. Völlig durchnässt, sodass mir das Kondenswasser aus den Ärmeln läuft, lange ich in Rendal an. Ich beziehe mein Zimmer und bekomme ein Privatabendessen vom Feinsten. Mit einem ordentlichen Roten vom Duero, der mich in den Schlaf wuggelt.
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