dreissig - sechs
Die morgendliche Berappelung hat reibungslos funktioniert und zumindest der Kaffee war vorbereitet. Zu meiner Verblueffung hat der Pensionschef an meinen Diabetes gedacht und die letzten Kekse vorm kuerzlichen Ableben seiner Mutter fuer mich aktiviert. Dann hat er mir vorgeschlagen, mich zwei Kilometer in den Weg hineinzufahren, was ich ... angenommen habe. 17 statt 19 KM, das fuehlt sich am Ende gut an.
Mit meinem persönlichen gesundheitlichen Problem wäre ich sehr wahrscheinlich in den Genuss des weit in die Neuzeit hinein hochwirksamen Netzes der Hospitäler gekommen. Deshalb eine Anmerkung hierzu. Nahezu alle Siedlungen entlang des Camino waren einst mit Hilfseinrichtungen ausgestattet. In Ribadiso z. B. gab es gleich mehrere Hospitäler. Darunter darf man sich kein modernes Krankenhaus vorstellen, sondern ganz schlichte Schutzräume für Bedürftige. Manche waren auch groß und mögen von staatstragender Bedeutung gewesen sein wie etwa Beaune oder die Spitäler in Würzburg. Dennoch ist die Effektivität auch der kleinsten Einheiten aufgrund der präzisen Passung bemerkenswert. Davon kann man sich rudimentär ein Bild machen, wenn die Pilger die Dienste eines Straßenfußpflegers in Anspruch nehmen. Man gibt etwas, muss aber keineswegs! Mit unseren verschiedenen Sicherungssystemen haben wir es schwer, uns eine Zeit vorzustellen, in der es dergleichen überhaupt nicht gab. Man kann die Zeit der Pest nicht mit der der Schweinegrippe vergleichen.
Hier und jetzt aber bin ich dann auch schnell am Flughafen und rieche damit schon an der grossen, so gar nicht mehr spirituellen Welt. Die Café Bars folgen dichter aufeinander, und so füllen sich die letzten Felder meines Credenzials.
Für mich war die letzte bemerkenswerte Station "meines" Weges der Monte do Gozo. Auf seiner Höhe steht eine kleine Ermita de San Marco. Inwendig könnte der Weg hier enden. Man geht aber doch zum großen Denkmal für Johannes Paul II. Dort muss Du einfach mit jemandem reden. Für mich ist es eine junge Radfahrerin aus Mainz. Im Gespräch mit ihr spüre ich, dass mit solchen Menschen Hoffnung besteht, den Problemen gewachsen zu sein. Anders als prophezeit ist der Weg durchaus angenehm, auch naturnah und nicht nur neben der Strasse. Dennoch: Sowie man an den Stadtrand gerät, ist aus mit Natur. Die Frage ist dann nur noch: Wann siehst Du die Kathedrale? Ich habe sie erst gesehen, als ich unmittelbar davor stand. Dann aber haut es einen fast um. So ein gewaltiger Baukomplex mit so vielen Fraktionen und Funktionen! Zuerst die Kathedrale selbst. Am Eingang wird allerdings gebasteltet, sodass die klassische Begruessung derzeit nicht moeglich ist. Aber man kann den Apostol umarmen und vor dem silbernen Schrein verharren. Auch eine kleine Zeit in der Pfarrkirche im linken Fluegel habe ich verbracht. Ueberall um die Kathedrale herum gibt es majestätische Architektur und tolle Musik: Ein Gitarrist spielt im Südosten eine meditativen Jazz, schwarz maskiert. Seine Musik klingt ueber den ganzen Platz. Dort auf der Treppe begegne ich zwei Männern aus Walldürn. Der jüngere hat in Wuerzburg Sonderschulpaedagogik studiert und ist jetzt mit einem älteren Freund per Fahrrad auf dem Weg in Santiago angekommen. Gerne wäre ich programmgemäss deutschen Pilgern begegnet. Aber entweder ist der Treff am Heiligen Tor ausgefallen oder wir haben was falsch gemacht. Aber auch so waren unsere Gespräche fruchtbar und haben uns einiges klar gemacht.
Zuvor allerdings habe ich alle sonstigen Dinge schnell in Ordnung bringen koennen: Unterkunft regeln, die Compostella bekommen, sich auf den Boden vor die Kathedrale legen, Fotos machen, einen Kaffee trinken, aufs Klo gehen ...
Die Altstadt um die Kathedrale herum ist das, was ich mir für dieses Mal gestatte. Der Platz ist so bedeutend, dass die Wiederholung des Besuchs unter anderen Zielen fast selbstverständlich ist.
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