sechzehn – sechs
Um die Mittagszeit bin ich in Richtung Millau losgefahren.
Davor habe ich erschütternde 115 Euro für die vergangene Nacht, Abendessen, Frühstück, Wein und Garage für drei Tage bezahlt, aber wenigstens alle meine Sachen wohlbehalten wiederbekommen. Meine Berichte waren geschrieben, die Fotos kopiert und im Office de Tourisme ins Netz gestellt. Bei diesen Transfers, die ich ja an meinem Notebook vorbereite, denke ich immer an einen/eine von Euch. Heute sind es Doris und Erich, ich grüße Euch sehr, mir fehlt die Herzlichkeit eurer Kommentare und die Begeisterung über die Dinge, die wir gemeinsam erlebt haben.
Millau also. In ganz Frankreich Inbegriff für eine alljährliche Katastrophe. Wie abgeschossen stürzten sich in vergangenen Zeiten die französischen Familien in ihren Autos am 1. Juli in die Ferien am Mittelmeer. Das führte bei Millau zu tagelangen Staus mit literaturreifen Sze-nen, bis man schließlich nach den Plänen des genialen Sir Norman Foster eine der schönsten Brücken des Planeten über den Tarn gebaut hat. Ich bin darüber und in Schlangenlinien um die Pfeiler herum gefahren. Das Bauwerk ist gigantisch schön. Ich stelle ein Foto ein, das nur eine entfernte Ahnung von den Eindrücken vermittelt, die sich durch die Ordnung von Raum und Masse einstellen.
Unten im Tal fährt man dann etwa an Peyre vorbei, einem an die Felsen geklebten Dorf, das aber dennoch von menschlichen Wesen genussvoll und einträglich bewohnt wird.
Etwas weiter hinten im Tal haben die Menschen vor Zeiten entdeckt, dass die Schafmilch, in ihren Höhlen gelagert, letztlich zu Roquefort wird. Eine Gebirgsverwerfung hat einem Pinsel-pilz (Penicillium roquefortis) in den neu gebildeten Höhlen samt Belüftung ein zukunftsträch-tiges Gewerbe zugeführt. Das kann man besichtigen, wobei die unfassbaren Hohlräume (Cathedrales du Fromage) mittlerweile historische Dimensionen angenommen haben. Das Ergebnis all dieser Faktoren, zu denen noch die Maître d’affinage Société, die Schafe und die Verpackerinnen gehören, ist wahrhaft überzeugend. Jeder Roquefort, den ich in Zukunft verzehre, wir mit diesem Tag verknüpft sein.
Der Tag neigt sich und ergraut. Ich fahre nach Millau, wobei mich der Verkehr nach kurzem Aufenthalt an einer Tankstelle in Richtung Conques treibt, denn ich habe beschlossen, in Sénergues zu nächtigen und einen Ruhetag einzulegen. Dort kommen ich kurz nach sieben an, finde den Gîte (Übernachtungshaus) verlassen an. Ein Ehepaar aus Brüssel erläutert, dass Zaza und Ben zur Tochter (17) nach Toulouse gereist sind, die kürzlich schwer verunglückt ist und mit vielfach gebrochenen Beinen und wohl auch mit seelischen Schmerzen zu kämpfen hat. Es gibt also nix zu essen und nix zu trinken. Gegen zehn kommt Bénoit, sodass ich noch mit einem kleinen Marcillac und meinen hart getrockneten Wasas etwas in den Magen bekomme.
Dabei kommen wir, die Belgier und ich, auch ins Gespräch. Beide reisen gerne hierher und kennen sich auch gut aus. Als Arzt ist er natürlich für die Herbergseltern ein guter Gesprächs-partner, für mich zusätzlich ein Beobachter von Entwicklungen aller Art. Hier in Sénergues machen die beiden einen Urlaub mit Halbpension. Das Publikum ist multinational, Schweizer, Österreicher, Deutsche, Norweger, Holländer, auch einige Franzosen ...
Im übrigen lerne ich, dass der Weg nicht nur Strecke ist, sondern auch Ort, wo man bleibt. Das Pilgern hat also nicht nur zeitweilige Unterkunft geordert, sondern auch dauerhafte Ruheplätze erzeugt. Meine belgischen Partner orientieren sich mehr an den Bleibequalitäten und beobachten mit einer gewissen Distanz die Vorüberziehenden. Oft fühlen sie sich von der „Oberflächlichkeit“ der Wanderer abgestoßen. Ich denke mir, dass der eigentliche Pilger weit von der Rennwanderer-Einstellung heutiger Tage entfernt ist.
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